Andacht vom 24. Juni 2012

24. Juni 2012 – 3. Sonntag nach Trinitatis / Johannestag

Wer in den Sommerferien einen Ausflug in das elsässische Colmar unternimmt, kann dort den wohl berühmtesten Zeigefinger der europäischen Kunstgeschichte bewundern. Zu sehen ist er auf der ersten Schauseite des Isenheimer Altars, die der Maler Matthias Grünewald gestaltet hat. Mit einem überlangen Zeigefinger zeigt auf diesem Altarbild Johannes der Täufer auf den am Kreuz verstorbenen Christus. Im Hintergrund sind die Worte zu lesen: „Illum oportet crescere me autem minui“, was ins Deutsche übersetzt heißt: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ (Joh. 3,30)

Am 24. Juni feiert die christliche Kirche den Erinnerungstag an die Geburt Johannes des Täufers (Johannistag). Genau gegenüber der Christgeburt zu Weihnachten am 24. Dezember, erinnert die Kirche an den so merkwürdig anmutenden, taufenden Bußprediger in der Wüste. Mit der Genialität eines großen Künstlers hat Matthias Grünewald durch seinen berühmten Zeigefinger ins Bild gefasst, wie die christliche Kirche schon im Neuen Testament die Figur des Johannes interpretiert: Als den Wegbereiter Christi, der von sich selbst weg und auf den anderen hinweist. Bis in die Geburtsgeschichten des Lukasevangeliums hinein lässt sich diese Linie der Interpretation zurückverfolgen: Als die schwangere Elisabeth der ebenfalls schwangeren Maria begegnet, „hüpfte“ das Kind der Elisabeth „in ihrem Leibe“. (Lk 1,41)

Die christliche Kirche tut gut daran, sich an Johannes den Täufer zu erinnern. Denn sein „Zeigefinger“ weist auch ihr immer wieder kritisch den Weg. Nicht die Beschäftigung mit sich selbst ist der Kirche aufgetragen, schon gar nicht Selbstinszenierung. Mitunter gewinnt man den Eindruck, dass dies in Vergessenheit gerät. Wie Johannes hat auch die Kirche die Aufgabe, im gepredigten Wort und in der helfenden Tat Christus in dieser Welt Raum zu geben. Im Leben jedes Einzelnen soll sich bewahrheiten und spürbar werden, was der Dichter Detlev Block in seinem „Lied im Mittsommer“ einfühlsam in tröstende Worte des Gebetes fasst:

„Kaum ist der Tag am längsten,
wächst wiederum die Nacht.
Begegne unsren Ängsten
mit deiner Liebe Macht.
Das Dunkle und das Helle,
der Schmerz, das Glücklichsein
nimmt alles seine Stelle
in deiner Führung ein.“

von Thilo Holzmüller, Schulreferent im Evangelischen Kirchenkreis Halle