Andacht vom 02. Oktober 2011

02. Oktober 2011 - Erntedankfest / 14. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Leserin, lieber Leser,

„Der ganze Segen kippte auf die Straße“, so lautete vor einiger Zeit eine Zeitungsüberschrift nach einem Unfall eines Landwirts mit einem Anhänger voller Früchte. Abgebildet war der verunglückte Traktor mit seinem Fahrer inmitten der auf der Straße umher liegenden Früchte.

Die Überschrift trifft den Sachverhalt des morgigen Erntedankfestes. Die reiche Ernte stellt einen unmittelbaren Zusammenhang zu dem her, was wir biblisch Segen nennen. In dem beschriebenen Bild, das sich mir eingeprägt hat, wird das Erntedankfest ganz sinnenfällig. Genau darum geht es. Da braucht es eigentlich keinerlei große Worte. Das Fest erklärt sich selbst: Man wird schon mit den Augen darauf gestoßen. Wir sehen die Gaben vor unseren Augen. In der Gewährung von Lebensmittel, die uns täglich zur Verfügung stehen, erfahren wir den Segen Gottes, schon gar wenn wir dem Überfluss der Ernte begegnen.

Es gehört zu den großen Traditionen dieses Erntefestes, dass Früchte der Ernte und Produkte daraus auf dem Altar liegen, und der Chorraum der Kirche damit geschmückt wird. Denn das ist nun das besondere dieses Festes. Spätestens jetzt verlieren all die Lebensmittel ihre Selbstverständlichkeit. Sie werden zu Gaben unseres Schöpfers. In ihnen sehen wir eben nicht nur die Frucht der menschlichen Arbeit, sondern auch das Geschenk eines uns zugewandten Gottes, der es gut mit uns meint.
„Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist“, so heißt es darum in einem Bibelwort. Gottes Freundlichkeit soll uns ganz elementar begegnen: im Schmecken der Frucht, im Beobachten der Schönheit der Natur, die sich zunehmend verfärbt. Aber nicht nur irgendetwas, sondern auch uns selbst sollen und können wir aus der Hand Gottes dankbar empfangen, darauf weist das Erntedankfest auch hin.

Wer sich selbst so erfährt, und wer überall den Gaben ins Staunen kommt, wird auch alles tun, um fürsorglich mit einer Umwelt umzugehen, und sie erhalten.
So gewinnt das Erntedankfest in einer hochtechnisierten Welt seine tiefe Bedeutung zurück.

Ihr
Walter Hempelmann

Walter Hempelmann ist Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Halle und Pfarrer in der Kirchengemeinde Halle.