Andacht vom 07. Juli 2013

07. Juli 2013 - 6. Sonntag nach Trinitatis

„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“, sagen wir und meinen damit: Es ist einem Menschen anzumerken, woher er stammt. Trotz aller persönlichen Eigenart schimmert die elterliche Herkunft durch. Klassisch kommt das etwa bei der Begutachtung eines Neugeborenen zum Ausdruck, wenn es – im Brustton der Überzeugung oder eher scherzhaft – heißt: „Der Mama ja geradezu aus dem Gesicht geschnitten!“ Später wird vielleicht im Blick auf gewisse Ver-haltensweisen festgestellt: „So war der Vater eben auch schon.“

Solche Feststellungen führen leicht zu Festlegungen, und dann will es scheinen, als sei ein Mensch so oder so lediglich die Summe seiner genetischen Anlagen und der Einflüsse seiner Umwelt. Zum Glück ist das aber nur die halbe Wahrheit. Die Bibel weiß darum, dass wir von weiter herstammen als von unseren Eltern, und kennt deshalb noch eine andere Grundlegung des Lebens, gleichsam eine zweite Geburt. Sie wird zeichenhaft veranschaulicht in der Taufe. Wie wir aus dem Mutterschoß hervorkommen, so auch aus Gottes Innerstem und Innigstem, soll heißen: aus seiner Liebe.Sie ist die erste und letzte Bestimmung unseres Daseins, über alle Prägungen durch Erbanlagen, Erziehung, Lebensgeschichte usw. hinweg.

Wer sich aus Gott geboren erfährt, erkennt entgegen aller seiner Begrenzungen immer wieder neue Spielräume des Lebens. Sie zu nutzen, befreit aus mancher unlösbar scheinenden Ab-hängigkeit und befähigt so dazu, über sich hinauszuwachsen. Zwar kann auch der auf den Namen Jesu Christi getaufte Mensch fallen, mitunter sogar sehr tief. Aber er fällt darum doch nicht aus Gottes Liebe heraus, weil für alle Getauften gilt: „Unser Stamm heißt Christus.“ (EG 268,2)

Die „Wiedergeburt“ im Zeichen der Taufe spricht jedem menschlichen Wesen eine letztgültige Würde diesseits wie jenseits von Raum und Zeit zu. Nichts und niemand kann sie ihm rauben, solange es sie nicht selbst vergisst. Daran zu erinnern, ist in der evangelischen Kirche das gottesdienstliche Thema des morgigen Sonntags.

von Hartmut Splitter, Pfarrer der Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Werther