Andacht vom 06. November 2016

Wort zum drittletzten Sonntag des Kirchenjahres, 6. November 2016

Paradiese

„Ich kehre heim.“ Nach diesem Satz hebt die Schriftstellerin ihre Augen von der Schreibma-schine und blickt durch ihr Fenster. Sie schreibt an einem Rückblick auf ihr Leben. Jenny Erpenbeck erzählt von dieser Schriftstellerin in ihrem Buch „Heimsuchung“. Die NS-Zeit hatte sie im Exil in der Sowjetunion verbracht. Weit weg von daheim. Aber war das Land, in dem damals die grauenvollsten Verbrechen begangen wurden, noch ihr „daheim“? Der Schriftstellerin wurde klar, „dass daheim niemals mehr Bayern, niemals mehr Nordseestrand oder Berlin heißen würde, daheim hatte sich in die Zeit verwandelt, die hinter einem lag.“ Wie das verlorene Paradies. Es gibt kein Zurück in die Vergangenheit. Die Bibel erzählt von Engeln mit Flammenschwertern, die den Weg ins Paradies versperren. Für immer. Wenn die Heimat so eindeutig hinter einem Menschen liegt, bleibt nur noch Wehmut.

Und dann war die Schriftstellerin doch heimgekehrt. Nach dem Krieg. In der DDR wollte sie mit bauen an einer besseren Zukunft. Sie wollte nicht nur in der Vergangenheit daheim sein. An einem Ort, auf den sie wehmütig zurückblickt. Sondern der Zukunft zugewandt. Sie wollte mithelfen, im Osten ein neues Deutschland aufzubauen. Von solchen Umschwüngen erzählt auch die Bibel immer wieder. Zunächst ist die Heimat ein verlorenes Paradies. Das zerstörte gelobte Land. Aber dann wächst die Hoffnung, dass Gott eine neue Zukunft schenken wird. Einen echten Neuanfang.

Ende der 1970er Jahre schreibt die Schriftstellerin an ihrem Lebensrückblick. Mittlerweile sieht sie, dass auch der neue Staat ihre Hoffnungen enttäuscht hat. Aus dem neuen Deutsch-land war ein gescheiterter Staat geworden. – Bald gedenken wir zum 27. Mal seines Endes. Aber nicht jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist zum Scheitern verurteilt. Nicht alle Paradiese liegen in der Vergangenheit. Als Christ glaube ich, dass meine Heimat in der Zu-kunft liegt. Ich muss sie nicht selber bauen. Aber jeden Morgen komme ich ihr ein Stück näher.

von Sven Keppler, Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Versmold