Andacht vom 18. März 2018

Wort zum Sonntag Judika, 18. März 2018

Wenn die Kraniche kommen


Es ist etwas Besonderes. Ich sitze am Schreibtisch und höre von draußen ein Geräusch. Das Geräusch ist vertraut, doch gehört habe ich es zum letzten Mal vor Monaten. Ich gehe nach draußen vor das Haus und blicke in den Himmel. Da sehe ich sie ziehen, die Kraniche. Ihre Formation ist so weit auseinandergezogen, wie ich sie vielleicht noch nie gesehen habe. Ihre Botschaft ist klar: sie kommen wieder, kehren aus südlicheren Gefilden zurück in den Norden und sagen damit: jetzt wird es bald Frühling werden, wir wollen wieder in unser Sommerquartier, wir sind wieder da.
Die Rufe der Kraniche und ihre eindrückliche Flugformation berühren mich jedes Jahr aufs Neue. Manche Zugvögel legen mehr als 30 000 km zurück, ein Weg. Vielleicht erklärbar und doch unvorstellbar ist, dass sie jeweils hin und zurück ihren Weg finden. Ich bin fasziniert, dass Störche nach teilweise über 10 000 Flugkilometern wieder ihr Nest auf einem Hausdach ansteuern.
In der Bibel staunt der Prophet Jeremia ebenfalls über die Flugwege von Zugvögeln (Jeremia 8,7). Für ihn kommt mit dem Blick in den Himmel allerdings gleichzeitig die Frage danach auf, wie wir unser Leben auf der Erde gestalten. Die Zugvögel, so sein Gedanke, wissen genau, wo sie hingehören, kennen die Zeiten, wann sie losfliegen und wann sie wiederkehren sollen. Dagegen wirkt der Mensch oft recht hilflos und verloren.
„Als Gottes Zugvogel sein Leben gestalten“ – das müsste dann nicht unbedingt heißen, jedes Jahr weite Wege zurückzulegen, sondern könnte eher eine Art inneres Navigationssystem meinen. Mit Gott und seinen Weisungen so vertraut werden, dass ich ein Gespür dafür bekomme: wo soll ich reden und wo schweige ich besser? Wofür setze ich mich ein und wo wahre ich Abstand? Welche Nahrung tut meinem Körper und meiner Seele gut und welche schadet ihnen? Welcher Mensch wartet auf mich?
Der Lebensweg eines Menschen ist nicht weniger spannend als die Flugreise eines Kranichs. Und auch hier tut es immer wieder gut, innezuhalten und zu staunen. Der Glaube ist eine Lebensschule, die das Staunen ebenso braucht wie die Kurskorrekturen. Es geht darum, mit Gott vertraut zu werden und ein Gespür für das eigene Leben, seine Gaben und seine Aufgaben zu bekommen.
Was Christen noch von Kranichen lernen können: sie sind immer gemeinsam unterwegs.
Holger Hanke, Pfarrer in der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Werther