Andacht vom 21. Oktober 2018

Andacht zum 21. Sonntag nach Trinitatis, 21. Oktober 2018


„Rache ist süß“ sagt eine Redensart und beschreibt das befreiende Gefühl, der inneren Wut freien Lauf zu lassen. Nicht mehr nur Opfer zu sein, sondern dem Täter ebenbürtig gegenüberzustehen. Den Durst nach Revanche kennt jeder, der einmal ernsthaft verletzt oder gedemütigt worden ist. „Dem werd‘ ich‘s heimzahlen“, am besten noch „mit gleicher Münze“. Es gibt ein tiefes Bedürfnis nach ausgleichender Gerechtigkeit. Wer sich rächt, fühlt sich moralisch im Recht. Fühlt sich als Opfer, das seine verletzte Würde und persönliche Ehre wieder herstellen muss.

Aus der Psychologie weiß man, dass Moral und Gerechtigkeitsempfinden bei Vergeltungsaktionen eine wichtige Rolle spielen. Das Problem: im Rausch des Zorns fällt die Vergeltung oft stärker aus als das erfahrene Unrecht. Es wird eben nicht mit gleicher sondern in der Regel mit größerer Münze heimgezahlt. Daraus entsteht eine Gewalt- und Vergeltungsspirale, die ihre eigene Dynamik entwickelt. Das biblische „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ war der Versuch, diese Eigendynamik der Gewalt zu begrenzen. Sozusagen ein Tatgleichgewicht zwischen Opfer und Täter herzustellen. Man kann vermuten, dass das auch zu biblischen Zeiten nur selten wirklich funktioniert hat.

Deshalb geht der Wochenspruch dieser Woche erheblich weiter: “Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. (Rm. 12,21) Wer sich rächt oder Gleiches mit Gleichem vergilt, erleichtert zwar sein Gefühl, bleibt aber immer noch gefangen im Unrecht, das ihm widerfahren ist. Er setzt sozusagen auf ein Unrecht noch ein weiteres. So überwindet man das Böse nicht. Wie aber dann?
Paulus zitiert aus dem Alten Testament: „…Wenn dein Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln“. (Spr. 25,21f) Die Strategie: den Feind bzw. Gegner durch freundliche Gesten und gute Taten beschämen. Ihn sein Gewissen spüren lassen, um so sein Herz zu erweichen. Nicht immer wird das funktionieren und doch ist einen Versuch wert! Es ist ein anderer Ansatz, der nicht auf Vergeltung, sondern auf deren Überwindung setzt. Darauf, dass auch der Feind ein Mensch ist und Bedürfnisse hat. Sowohl im persönlichen als auch im zwischenstaatlichen Miteinander ist diese christliche Sicht wichtig zur Durchbrechung und Überwindung gegenwärtiger Gewaltspiralen in dieser Welt.

von Hans Schmidt, Pfarrer im Ruhestand in Halle