Andacht vom 09. Juni 2019

Andacht zum Pfingstsonntag, 09. Juni 2019

Am vergangenen Freitag läutet es nachts um kurz vor zwei an unserer Tür. Aufgeschreckt öffne ich das Dachfenster und sehe im Halbdunkel einen jungen Mann: „Ihr seid das doch mit den Flüchtlingen, nä?“ „Ja, guten Tag“, stammele ich schlaftrunken. Er hebt die Hand und verschwindet laut rufend um die Hausecke: „Schämt euch, schämt euch, schämt euch!“ Hat meine irgendwie zu höfliche Reaktion vielleicht genau das ausgelöst: Dass es da jemand dabei beließ, nur eine halbe Drohung auszusprechen?

Noch immer habe ich es im Ohr, dieses „Schämt euch, schämt euch…“ Doch wofür? Für unsere ehrenamtlichen Deutschkurse, die wir seit fünf Jahren anbieten, gerade auch für junge Mütter mit kleinen Kindern? Für unsere Kinder-Kleiderkammer, die allen Versmolder Familien offen steht, und die von den vielen gut erhaltenen Spenden lebt? Für die unzähligen, höflichen Begegnungen an ebendieser Haustür, wenn Menschen klingeln, weil sie mit einer Situation in unserem Land nicht allein klar kommen?

In der Vielvölkerstadt Jerusalem lebten zur Zeit von Jesus Menschen aus vielen Nationen zusammen. Nicht selten kam es da zu Spannungen, zu schiefen Blicken und Unverständnis über fremde Sitten und Gebräuche. Mittendrin die verschreckten Jüngerinnen und Jünger Jesu, voll Schrecken noch durch den grausamen Tod Jesu und voll unverhofften Staunens über seine Auferstehung.

Zu Pfingsten erfüllte ein Brausen das ganze Haus. Die Jünger fingen an in fremden Sprachen zu predigen. Ihre Türen stießen sie auf, dass die Menschen sie hören konnten.
Ihre Scham und Angst vor Verfolgung legten sie ab. Sie verkündigten frei heraus die gute Nachricht von Gottes Liebe zu allen Menschen. Davon, dass er Jesus Christus vom Tod auferweckt hat und nun den Geist des Mutes ausgießt über alle, die sich an ihn halten. Gott sei Dank, es ist Pfingsten – wir können die Türen weit öffnen!

von Anja Keppler, Pfarrerin in Versmold