Andacht zum 3. November 2024

„Wort zum Sonntag“  (03.11.2024 / 23. So. n. Tr.)

Nun sind wir also wieder im November angelangt! Bevor sich der Jahreskreis mit weihnachtlichem Glanz und Gloria sowie silvesterlichem Getöse schließt, wird das öffentliche Leben erst einmal mehr oder weniger deutlich heruntergefahren. Es ist, als nähme dabei die Kultur Maß an der Natur, die in die Winterstarre zu verfallen beginnt.

Vielen Menschen graut ja ein wenig vor dem vorletzten Monat im Jahr. Denn nach dem herbstbunten Oktober droht nun ein tristes Grau-in-grau sich des Lebensgefühls zu bemächtigen. Eine ganze Reihe von Gedenktagen, die an Schuld- und Leidgeschichten erinnern, tun hier ein Übriges. 

Aber wenn es stimmt, dass es in dieser Welt wohl nichts gibt, was ausschließlich und eindeutig positiv oder negativ ist, besteht unser Leben immer aus Grautönen jenseits aller Schwarzweißmalerei. Dann ist Grau die Symbolfarbe, welche zwischen dem Nachtdunkel und der Taghelle vermittelt. So gesehen lässt sich dem „grauen(haften)“ November durchaus eine tröstliche Dynamik abgewinnen.

Die Gräuel der Weltkriege und Unrechtsregimes, die in den aktuellen Konflikten ihre beängstigende Fortsetzung finden, können Anlass zum Innehalten im Lebens-Lauf sein. Auf diese Weise wird eine Positionsbestimmung möglich, aus der sich – kollektiv wie individuell – heilsame Kurskorrekturen ergeben („Buße“). Die Notwendigkeit dazu bedarf gewiss keiner weiteren Ausführungen.

Interessant und überraschend: das deutsche Wort „grau“ hängt sprachgeschichtlich mit „schimmern“, „strahlen“, „glänzen“ zusammen. So ergibt es auch von daher einen guten Sinn, dass der „gräuliche“ November in den Ausblick auf den „Morgenglanz der Ewigkeit“ (so der Beginn eines Kirchenliedes aus dem 17. Jahrhundert) mündet; damit gibt sein letzter Sonntag bereits einen Vorgeschmack auf die endgültige Wirklichkeit, die alle Welterfahrung – und sei sie noch so schrecklich oder schön – zu etwas Vorläufigem macht.

Ist der November ein Monat, vor dem einem nur grauen kann? Nicht mehr für diejenigen, die seine „Highlights“ bewusst wahrnehmen!

Hartmut Splitter ist Pfarrer im Ruhestand