Andacht zum 30. Juni 2024

Es ist EM und fast alle hoffen auf das „Sommermärchen“!? – Fußball ist Kult. Fans pilgern zu den Spielen, tragen die Vereinskutte und beten für den Sieg. Bei genauerem Hinsehen finden sich schnell ein paar Verbindungen zwischen Fußball und Religion. „You´ll never walk alone when you walk through the storm” („Du gehst (deinen Weg) nicht allein, wenn du durch den Sturm gehst.“) – grölen die Fans des FC Liverpool in ihrer Vereinshymne. Das Trostwort stammt fast wortwörtlich aus dem biblischen Buch Jesaja, Kapitel 43. So gibt es auch im Fußball den Sprung in den Glauben. Die Hymne von Borussia Dortmund „Leuchte auf, mein Stern Borussia, leuchte auf, zeig mir den Weg!“ lehnt sich nicht ohne tieferen Beweggrund an die altenglische Kirchenmelodie des Liedes „Amazing Grace“, hierzulande oft als „ein schöner Tag“ besungen, an – im Vertrauen auf Gottes begleitende Gnade. 

Fußball und Religion, da gibt es etliche Verbindungen. Wir blicken auf die „Kutte“ der Fans und die Messgewänder der Geistlichen, den Vereinsschal auf der Tribüne und die Gewandstola am Altar, den hochgereckten Sieges-Cup des Mannschaftskapitäns und den erhobenen Kelch bei der Abendmahlsfeier in den Händen des Pfarrers oder der Pfarrerin, den Wechselgesang zwischen Einheizer und Fankurve im Stadion und die gottesdienstlichen Wechselgesänge zwischen Pfarrer:in und Gemeinde, die festgesetzten Fest- und Feiertage im Kirchenjahr und die Spieltage von Bundesliga bis Championsleague. Und aktuell: Die EM in Deutschland – emotional so hoch besetzt wie Weihnachten und Ostern zusammen.

Fußball – also eine Art Ersatzreligion? – Nur das gibt es im Fußball nicht: keine Beichte, keine Vergebung, keine Absolution – nicht für den Millionenverdiener auf dem Rasen, der gerade foult, nicht für den Schiedsrichter, der sich irrt, nicht für den Fan, der seine letzten Euros im Stadion ausgegeben hat… Und während es im Fußball immer Gewinner:innen und Verlierer:innen gibt, kennt das die Religion nicht.

Behaupten viele Fans von sich, Fußball sei ihr einziger Lebensinhalt, so hilft der Sport sicher nicht über private Probleme oder Krisen hinweg. Existentielle Fragen werden nicht im Stadion beantwortet. Häufen sich die Niederlagen, so wird der vermeintliche Fußballgott früher oder später eine Glaubenskrise auslösen. Um einer solchen Enttäuschung vorzubeugen, empfiehlt es sich, die Held:innen nicht maßlos zu vergöttern und dennoch – wie in der Religion –  nicht die Hoffnung aufzugeben. Darum: Leuchte auf, mein Stern! – Und hoffe auf das „Sommermärchen“! 

 

Christiane Karp-Langejürgen ist Pfarrerin am Berufskolleg Halle/W.