Andacht zum 20.04.2025 - Ostern

Nachtstück

Es ist tief in der Nacht, in Salzburg. Einige Männer schleichen in den Dom. Heimlich. Verhüllt in schwarze und weiße Gewänder. Der abnehmende Mond gibt ein schwaches Licht. Kalter Wind pfeift. Vor zwei Wochen hat der Frühling begonnen. Der Schnee ist gerade erst geschmolzen.

Die Männer nehmen die Kälte kaum wahr. Sie sind zu aufgeregt. Sie wollen zum „Heiligen Grab“, im Inneren des Doms. Am Karfreitag ist dort der Gekreuzigte bestattet worden. Eine Holzfigur von Jesus. Die Mönche haben ihn in Leinentücher gewickelt und in ein Grab gelegt. Dazu haben sie gesungen: „Seht, so stirbt der Gerechte.“

Die Szene ereignet sich im 12. Jahrhundert. Im Mondlicht erreichen die Männer das „Heilige Grab“. Sie heben die Holzfigur von Jesus aus ihrer Gruft. Richten sie auf. Verneigen sich. Sie geben sich den österlichen Friedenskuss. Und sagen sich das Unglaubliche: „Der Herr ist wahrhaftig auferstanden!“

Dann rufen sie alle zum Gottesdienst. Die Ereignisse von Ostern werden nachgespielt. Drei Frauen kommen zum leeren Grab. Auch Petrus und Johannes. Sie finden die leeren Leinentücher und zeigen sie der Gemeinde. Der Gekreuzigte ist nicht mehr da. Der Chor singt auf Latein: „Er ist auferstanden, wie er gesagt hat“. Und das Volk antwortet damals zum ersten Mal mit diesem Gesang in deutscher Sprache: Christ ist erstanden von der Marter allen. / Des solln wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein. Kyrieleis

An vielen Orten wird morgen die Osternacht gefeiert. Wie schon seit 2.000 Jahren. Ein Gottesdienst, der mich ganz tief berührt. Er feiert ein Ereignis, das nicht zu begreifen ist. Da ist einer durch den Tod wieder ins Leben gegangen. In ein Leben, das den Tod für immer hinter sich gelassen hat. Verstehen kann ich das nicht. Und erst recht nicht erklären. Aber mein Gefühl wird ganz tief berührt. Es wird hell in der Nacht. Was weh tut, entspannt sich. Und das Glück durchströmt meinen Körper. Ich möchte einfach singen. Dasselbe Lied wie vor über 800 Jahren in Salzburg.

Dr. Sven Keppler ist Pfarrer in Versmold