Maria Abeck-Brandes schaut ganz genau auf die Handfläche von Paul Kolossa. Der Mitarbeiter des Museums am Schölerberg in Osnabrück hat sein Umweltmobil „Grashüpfer“ vor dem Heimathaus in Borgholzhausen geparkt. „Die Insekten habe ich heute Mittag noch im Museumsgarten gesammelt“, erklärt Kolossa über seine lebenden Anschauungsobjekte, die nicht nur auf seiner Handfläche, sondern auch unter dem Mikroskop von den Besuchern genau betrachtet werden können.
Das Umweltmobil war nur ein Aspekt des Biodiversitätsnachmittages, zu dem das Projekt „Klimahelden im Alltag“ des evangelischen Kirchenkreises Halle geladen hatte.
An einem Stand des Naturgarten e.V. könnten sich Interessierte zur insektenfreundlichen Bepflanzung des heimischen Außenbereichs beraten lassen, Lektüre und auch kleine Stauden erwerben. Im Heimathaus stand währenddessen nicht nur ein kleines Buffet mit Leckereien aus regionalen und saisonalen Kräutern bereit, sondern fand auch ein Vortrag statt.
Dr. Nils Hasenbein von der Universität Bielefeld referierte über „Die stille Krise“, den Rückgang der Biodiversität. Der Bestäubungsökologe klärte zunächst darüber auf, warum es überhaupt eine Vielfalt, eine Biodiversität geben muss. Denn die ist wichtig zur Regulierung der Umwelt durch Schadstoffentgiftung, Wasserretention, Reduktion von Schädlingen und Bestäubung. Zudem wird so die Bereitstellung von Ressourcen von Baumaterial über Wasser, medizinische Wirkstoffe und Nahrung gesichert. Dazu kommt noch der kulturelle Aspekt – denn die Natur ist nicht nur nützlich, sondern auch wichtig zur Erholung oder von spiritueller Bedeutung.
„Aber es geht bergab“, sagt Dr. Hasenbein. „Allein die Hälfte der Pflanzen ist nur noch ungefährdet, 2 Prozent sind schon ganz weg und ausgestorben“. Tragisch ist, dass diese Tendenz schon lange bekannt ist, schon in den 1960er Jahren gab es erste Publikationen zum Artensterben. Viel passiert, um diese Tendenz umzukehren ist aber nicht.
„Wir sind in unserer Zielsetzung ambitioniert, aber wir hängen bei der Umsetzung hinterher“, sagt der Biologe und belegt dies mit Zahlen. „Kaum 3,7 Prozent der EU-Landfläche werden streng geschützt. Das 10 Prozent Ziel wird krass verfehlt. Deutschland ist mit 0,6 Prozent eines der Schlusslichter“.
Die Ursachen des Artensterbens sind unterschiedlich. Habitatverlust, Umweltverschmutzung, Ausbeutung, Invasive Arten und Klimawandel sind dafür verantwortlich, je nach Art mit unterschiedlich schwerem Einfluss. Auch die Ursachen für das Nicht-Handeln sind vielfältig, von mangelnder Datenlage über fehlende Wahrnehmung in Form einer Biodiversitätsblindheit und eine allgemeine Ohnmacht bis zum aus Corona-Zeiten bekannten Präventionsparadox: Eine präventive Maßnahme, die für Bevölkerung und Gemeinschaften einen hohen Nutzen bringt, bringt dem einzelnen Menschen oft nur wenig – und umgekehrt.
Dennoch ist Nils Hasenbein überzeugt davon, dass es noch nicht zu spät ist für ein Umdenken und Handeln. Wichtig sei es mehr Aufmerksamkeit zu schaffen, die Wahrnehmung zu verändern, Wissen zu vermitteln und gemeinsam zu handeln.
„Wir können den menschlichen Einfluss ins Positive wenden, wir haben das Wissen und die Mittel dazu“, gab der Biologe den mehr als 30 Zuhörenden mit auf den Weg.