Der Historiker und ehemalige (von 2000 bis 2008) Stadtarchivar Versmolds, Dr. Richard Sautmann, hat mit seinem im September erschienenen Buch „Versmold in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945“ eine noch bestehende Lücke der Stadtgeschichts-Literatur geschlossen. Auch Versmold erreichte der Krieg, auch hier haben sich Tragödien zugetragen. Sautmann war der Meinung, dass jeder ein Recht darauf habe zu erfahren, wie die Geschichte des Nationalsozialismus in seiner Stadt aussah. Wer die Geschichte kenne, könne aus ihr lernen. Diese Botschaft war ihm wichtig. Im Vorwort des Buches bedankte er sich im Besonderen bei Dr. Rolf Westheider, den er als Herausgeber des Buches wieder an seiner Seite hatte.
Weiter schreibt er: „Und zugleich zeigen uns die aktuellen politischen Verwerfungen unserer Zeit, die auch in Versmold vor wenigen Monaten zu einer eindrucksvollen Demonstration gegen den neu erwachsenden Rechtsradikalismus geführt haben, deutlich, dass wir uns den historischen Grundlagen von Faschismus und Nationalsozialismus in Deutschland und vor Ort bewusst werden müssen.“ Es sei Aufgabe der Schrift, Wissen zu vermitteln, die es erlaubt, gegen Hass und Hetze aufzustehen.
Am 7. November starb Dr. Richard Sautmann in Hamburg im Alter von 58 Jahren. Dr. Rolf Westheider, Vorgänger und Nachfolger des Verstorbenen als Stadtarchivar in Versmold, der mit ihm viele gemeinsame Projekte umsetzte, schreibt in seinem Nachruf: „Er hat der ganzen Versmolder Bürgerschaft mit dem Buch ein großes Vermächtnis hinterlassen, mit einer enormen Kraftvollstreckung konnte er es trotz seiner Erkrankung vollenden. Dafür sind wir ihm sehr dankbar.“ Geschichte sei nicht für den Elfenbeinturm da, sondern für die Menschen. Dieses Grundverständnis hätten beide geteilt.
Lesen oder Vorlesen beschreibt den Prozess der Umwandlung von Schrift in Information und Bedeutung - dieser Meinung ist ein Team, das sich für Toleranz und Vielfalt in Versmold unter dem Motto „nie wieder ist jetzt“ einsetzt. Möglichst viele Menschen für das Thema Demokratie zu sensibilisieren ist die Intention von Bürgermeister Michael Meyer-Hermann, Archivar Dr. Rolf Westheider, Denkmalsgestalterin Inga Niemann-Delius, Stadtführer Karl-Heinz Galling und Pfarrerin Anja Keppler. Sie organisierten ein besonders Projekt. In 96 Leseeinheiten – also 15 Minuten pro Person – wurde aus dem Buch vorgelesen. Sonntag von 12 bis 24 Uhr, Montag von 8 bis 20 Uhr. Der Lesemarathon „24 Stunden – Ein Buch“ fand in eben dem Gebäude statt, dass auf der Titelseite des Werkes abgebildet ist: im M1, einem ehemaligen Ladenlokal. Ein zentraler Ort in Versmold, für alle gut erreichbar.
Bürgermeister Michael Meyer-Hermann übernahm die ersten 15 Minuten der Lesezeit. Bevor er begann, würdigte er den verstorbenen Autor. Er habe „großen Respekt vor seiner Leistung und danke für das Geschenk, dass er uns gemacht hat.“ Es sei wichtiger denn je, die dunkelste Zeit der Versmolder Geschichte aufzuarbeiten. Dann schlug er das Buch auf und las - 47 weitere Lesende folgten an dem Tag. Für die einzelnen Zeiten konnte man sich im Vorfeld via Internet eintragen. Nur wenige Lücken galt es für den Sonntag bei Lesebeginn noch zu schließen - und es gelang. Pfarrerin Anja Keppler, die sich bereit erklärt hatte, als Springerin zu fungieren, freute sich über den Anklang, den das Projekt gefunden hatte.
Während der zwei Tage gab es für Lesende und Zuhörende Getränke und Fingerfood, das von Frauen der Frauenschule Versmold aus Polen, Georgien, der Ukraine, dem Irak und der Türkei zubereitet wurde. -dag-