1. Vor zwei Jahren im Februar seid ihr als Familie aus Paraguay hierher in den Kirchenkreis und die Kirchengemeinde Halle gekommen. Was hat dich/euch motiviert, für zwei Jahre hierher zu kommen?
Wir als Familie und ich als Pfarrer wollten die Gelegenheit nutzen, neue Erfahrungen zu machen. Für Amelie und Agustin bedeutete das, die Sprache zu lernen, für Maria sich in Deutsch zu verbessern, die Sprache auch einmal sprechen zu können. Sie hat Deutsch als Fremdsprache in der Schule gelernt, aber im Alltag nicht benutzt.
Ich wollte die deutsche Kirche als Pfarrer kennen lernen, deutsches Gemeindeleben erleben, gemeinsam mit anderen Pfarrern in einem Team arbeiten. In Paraguay hatte ich außer im Vikariat immer allein in einer Gemeinde gearbeitet.
Wir wurden persönlich von Kirchenrat Duncker eingeladen, er hat gefragt: „Könnt ihr euch das vorstellen?“ Das war uns wichtig.
Partnerschaft lebt von persönlichen Beziehungen, sich persönlich zu kennen. Deshalb war eine wichtige Motivation, hier in Halle die Lebendigkeit der Partnerschaft auf menschlicher und auf institutioneller Ebene zu stärken. „Es ist viel leichter Menschen zu helfen, wenn man ein Gesicht kennt“, hat mir jemand auf einem Treffen des Gustav-Adolf-Werkes gesagt und „melde dich, wenn du was brauchst.“
Begegnung macht Kommunikation leichter.
2. Welche Schwerpunkte hatte deine Arbeit hier?
a. In der Kirchengemeinde Künsebeck
Ich habe alles gemacht, was Pfarrer hier machen: z.B: Sonntagsgottesdienste, Taufen, Beerdigungen, Gruppenstunde im Stadtteil. Ich habe den Kindergarten und Kinderbibelwochen begleitet, Beziehungen zur Grundschule gepflegt, Konfis unterrichtet. Frauenhilfe, Frauenfrühstück und Freizeiten mitgemacht. Habe die beiden Altenheime Marienheim und Eggeblick besucht, habe Menschen im Alltag begleitet, …
b. Hast du auch im Kirchenkreis oder darüber hinaus Aufgaben übernommen?
Ja, ich habe Vorträge in den Frauenhilfen im ganzen Kirchenkreis und in den Nachbarkirchenkreisen besucht und über die La-Plata-Kirche und meine Arbeit dort erzählt. Ich war in Männerkreisen, habe Partnerschafts-Gottesdienste in den Gemeinden gefeiert, war auf Kreissynoden und bei Pfarrkonferenzen, im La Plata-Ausschuss der EKD, war auf der Austauschpfarrkonferenz, im EKD-Beratungsausschuss Lateinamerika (das ist ein Treffen von Organisationen, die in Südamerika tätig sind, z.B. GAW und Brot für die Welt).
Ich habe das prophetische und seelsorgliche Amt der Kirche erklärt. Ich war z.B. auf den Romero-Tagen in Hamburg auf Einladung der Nordkirche. Dort ging es auch um den Zusammenschluss von Bayer und Monsanto und was das in Lateinamerika bedeutet. Dort wurde Menschen Mut gemacht, Aktien von Bayer zu kaufen, um in den Aktionärsversammlungen kritische Fragen zu stellen. Es ist wichtig, auch eine kleine Stimme in Großkonzernen zu nutzen, also „von innen mitzureden“.
Wir in Südamerika müssen die Fusion von Bayer und Monsanto im Blick haben und beobachten, was das für die kleinen Bauern bei uns bedeutet. Die Romero-Tage haben den Teilnehmern eine andere politische Ebene gezeigt. Die Organisatoren holen verschiedene Ansprechpartner an den Tisch, z.B. aus der Anti-Globalisierungsbewegung und der Kirche.
c. Was hast du besonders gerne gemacht?
Ich habe die Arbeit hier insgesamt sehr genossen. Es war toll, dass die Menschen vor allem in Künsebeck absolut offen waren, uns Vier an- und aufzunehmen, um gemeinsame Wege zu gehen. Sie hatten Geduld für unsere Sprachschwierigkeiten. Mir hat so Vieles Spaß gemacht, egal was, der Gottesdienst, die Treffen mit dem Helferkreis, die Jugendarbeit, die Arbeit mit KiTa, Frauenfrühstück – ich kann das gar nicht alles aufzählen.
Kleine Projekte haben mich begeistert. Oder etwas zu sagen zu den Neuplanungen des Gewerbegebietes in Künsebeck, die Zusammenarbeit mit Familie Künsemöller und den Biobauern war inspirierend. Die Fahrradfreizeit nach Wittenberg und der Reformationslauf – das waren Highlights.
d. Was hat dich besonders herausgefordert?
Die Sprache – auch wenn ich deutsche Großeltern hatte, ist mein Deutsch nicht perfekt. Bei Beerdigungen habe ich das als besonders schwierig empfunden. Aber, es hat sich nie jemand beklagt. Ich spreche gerne sehr persönlich, aber bei offiziellen Veranstaltungen ist das sehr schwierig in einer Fremdsprache.
Ich finde es auch schwer, hier Strukturen zu verstehen. Viele sind gut und hilfreich, auch auf Ebene der Landeskirche und des Kirchenkreises. Die Strukturen hier bieten sehr viel Spielraum, lassen viele Freiheiten. Aber es braucht auch feste Strukturen, z.B. im Gemeindeleben, wenn es darum geht, wer ist wo tätig, wer macht was, wer predigt wann und wo.
Manche kulturelle Verhaltensweisen sind schwer zu verstehen. Mir hat immer wieder Spontaneität gefehlt, einfach mal unkompliziert Leute zu treffen, oder spontan einzuladen und eingeladen zu werden, unangemeldet auf Besuch gehen. Wertschätzung für jemand anderen zeigt sich nicht darin, wie oft ich wen besuche, sondern dass ich es überhaupt tue. Ich kenne da eine andere Offenheit, ein anderes aufeinander zugehen. Dieses Andere hier zu verstehen, war herausfordernd.
3. Hat die Zeit hier etwas für dich verändert? Wie und was?
Vieles. Ich nehme z.B. die Kirche in Deutschland anders wahr als vorher. Diese Kirche ist reich an Geld und Mitgliedern, von denen nur ein geringer Prozentsatz sich auch aktiv am kirchlichen Leben beteiligt und in den Gottesdiensten sichtbar ist. Das ist bei uns anders. Wir sind eine Beteiligungskirche. Man ist nur dann Mitglied, wenn einem Kirche und christliche Gemeinschaft etwas bedeuten und deshalb beteiligt man sich auch daran. Alle Mitglieder einer Gemeinde kommen in die Gottesdienste.
Hier stelle ich mir immer wieder die Fragen: Wie können wir die Menschen da erreichen, wo sie sind? Wie können wir für sie da sein, ohne zu erwarten, dass sie in den Gottesdienst kommen. Für manche Deutsche gehört es dazu, in der Kirche zu sein quasi durch Geburt. Trotzdem tauschen sie nicht auf. Sie sind nicht da und aber beklagen sich auch nicht.
Ich denke, Kirche baut auf persönlicher Beziehung auf. Meine Aufgabe ist es, die Mitglieder zu erreichen. Wie kann ich ihnen dabei helfen, sie dabei fördern, Gemeinschaft und Evangelium zu entdecken? Ich muss meinen Glauben leben, nicht die Menschen lehren, wie man richtig glaubt. Ich bin wie alle anderen ein Mitglied, ich habe als Mitglied einen besonderen Auftrag und bin immer auch Teil der Kirchengemeinde. Genauso wie die Küsterin, sie hat anderen Auftrag, ist aber dasselbe wert wie ich.
Ich habe in der Zeit hier auch eine Menge über mich gelernt: Ich kann auf Menschen zugehen und sie fühlen sich wohl bei mir. Ich habe mich im Blick der anderen gespiegelt.
Ich habe hier erlebt, wie sich „Sie“ und „Du“ unterscheidet.
Und persönlich habe ich mich auch durch die Begegnung mit Menschen, die uns mögen, verändert. Ich möchte mir in Zukunft mehr Zeit für mich und die Familie nehmen. Und mehr auf mich achten.
4. Was wirst du tun, wenn du zurück in Paraguay bist? Welche Aufgaben und Herausforderungen warten dort auf dich/euch?
Ich gehe in eine evangelische Gemeinde in Asunción (Hauptstadt von Paraguay), mit drei Predigtstätten mit je 300 Mitgliedern, mit Studentenwohnheim, Gästehäusern für Familien, die ihre Kranken versorgen müssen, mit diakonischen Projekte, Kindergarten und Altenheim. Maria wird in einer Schule arbeiten, in der die Arbeitssprache deutsch ist, die Kinder werden auch dort in den Kindergarten, bzw. die Vorschule gehen.
Persönlich sehe ich viele und große Ungerechtigkeiten in Paraguay, das reich-arm-Gefälle ist schlimm. Armut dort ist begründet in einem Bildungsdefizit und einem korrupten Staat, der Ungerechtigkeit fördert. Ich finde Aufklärung wichtig, z.B. wie Korruption sich äußert. Man braucht z.B. politische Paten, wenn man etwas braucht. Man braucht jemanden, der weiß, welche Knöpfe er drücken muss, damit man sein Ziel schnell und problemlos erreicht.
Meine Frage ist: Wie verkündige ich das Evangelium ohne mich politisch auf die Seite einer bestimmten Partei zu schlagen? Diese Gradwanderung möchte ich hinkriegen.
5. Wie wird es für euch als Familie, für Maria und eure beiden Kinder sein, nach Hause zu kommen?
Das war eine schwere Entscheidung, weil wir uns hier wohlfühlen.
Auch, weil ich den Problemen nicht gerne aus dem Weg gehe. Ich habe Theologie studiert, weil ich mich mit der Ungerechtigkeit Zuhause auseinandergesetzt habe. Arbeit in Kirche ist nicht Arbeit nur für ihre Mitglieder, wir müssen unsere Stimmer auch erheben gegen Ungerechtigkeit und Korruption. Wenn ich hier bleiben würde, würde ich den Schwierigkeiten Zuhause aus dem Weg zu gehen.
Dabei muss ich ganz persönlich das richtige Maß finden: Es kommt darauf an, was und wie laut man ist. Ich kann nicht schweigen bei Ungerechtigkeit, aber ich werde mein Leben nicht aufs Spiel setzen, wenn ich dagegen angehe.
Die Aufgabe der Kirche, und damit meine, liegt in der Aufklärung und im Vorleben des Glaubens. Kirche muss der Gesellschaft beweisen, dass es auch anders geht. Kirche muss die Unterstützen, die protestieren. Kirchenleute müssen Freunden, Kollegen und Demonstrierenden helfen und sie besuchen, Protestbriefe schreiben.
Gleichzeitig weiß ich, es kann Konsequenzen haben, wenn ich mit den falschen Personen zu tun habe. Aber ich werde nicht schweigen. – So haben die Menschen hier mich auch kennen gelernt.
Das Gespräch führte Frauke Brauns