BORGHOLZHAUSEN – Großes Interesse – etwa 80 Besucher – erfreute die Vorsitzende des Borgholzhausener Kulturvereins, Astrid Schütze, schon bei ihrer Begrüßung zur neuen Ausstellung im Rathaus. Die Bilder von Patrizia Casagrande berühren und faszinieren: Sie zeigen in einer aufwendigen und selbst entwickelten Technik großformatige Portraits der Müll sammelnden Mädchen aus Udaipur im indischen Bundesland Rajasthan. Sie gehören zur untersten Kaste der Schlangenmenschen und leben in bitterster Armut inmitten eines Landes der unermesslich reichen Maharadschas. Die Künstlerin reist regelmäßig in den Nordwesten Indiens und lebt mit den jungen Frauen inmitten ihres Arbeitsplatzes.
In einem Interview mit Architekt und Kulturvereinsmitglied Joseph Schräder erzählte die Stuttgarterin, die heute in Krefeld lebt und arbeitet, von ihren intensiven Begegnungen mit „bildhübschen jungen Mädchen und Frauen, die inmitten ihres menschenunwürdigen Schicksals ein bedingungsloses Vertrauen in die Zukunft und eine fast ausgelassene Lebensfreude“ ausstrahlen. „Alles konzentriert sich auf das Hier und Jetzt“, erzählte Casagranda davon, wie die Mädchen und Frauen sich ständig durch existenzielle Bedrohung auf einem schmalen Grat zwischen Überleben und Katastrophe bewegen. Dabei konzentrieren sich diese „Wesen aus 1001 Nacht“ auf das Heute, die positiven Aspekte des Lebens und unterstützen sich durch gegenseitige Solidarität.
Unter diesen starken, bewegenden Eindrücken entwickelte Patrizia Casagranda mit einem befreundeten Künstler direkt vor Ort auf einer Müllhalde eine komplett neue Technik, fast wie ein Spiegelbild zur Situation der Frauen. Auf einem Hintergrund aus dem unterschiedlich verarbeiteten Material der Müllfunde – etwa LKW-Planen – überlagert Casagranda mit Elementen wie Graffiti, Schablonentechnik, typografischen Elementen und Malerei Portraits, die den Betrachter in ihren Bann ziehen und nicht wieder los lassen. Eine Schönheit, die an Werbefotografie erinnert und gleichzeitig ein großes Unbehagen impliziert. Die Bilder erzählen unter einer changierenden Oberfläche eine tiefer gehende Geschichte.
„Die Symbiose aus inhaltlicher Aussage, individueller Komposition und der darstellerischen Umsetzung berührt mich und gibt mir Raum für philosophische Gedanken über Schönheit, das Leben und globale Gerechtigkeit“, beschreibt die Künstlerin ihre persönliche Verflechtung und gleichzeitige Faszination.
Patrizia Casagrande arbeitet seit 2015 als freischaffende Künstlerin. In Borgholzhausen zeigt sie neben der aktuellen Arbeit auch Ausschnitte anderer Werkschwerpunkte der letzten vier Jahre. So hat sie Frauengestalten und -gesichter vor Ort in Pompeji gemalt. Die Technik ist ganz anders, als bei den Bildern aus Rajasthan. Die Verbindung zwischen den verschiedenen Projekten ist die fast greifbare Materialität dieser Werke. „In Zeiten von digitaler Kunst sind diese Arbeiten in ihren verschiedenen Schichten eine Offenbarung“, so ein Kritiker von Casagranda Kunst. Wer die Bilder betrachtet entdeckt ihre Seele, das Darunter. Diese Bilder lassen sich lesen, man kann sie durchwandern und sich in ihnen verlieren.
Die Ausstellung ist geöffnet bis zum 21. Juni, jeweils zu den Öffnungszeiten im Rathaus Borgholzhausen. (CG)