HALLE/VERSMOLD – Für Samstagvormittag, 12. Oktober, hatten der Evangelische Kirchenkreis Halle und die Kirchengemeinde Versmold zu einem Friedensgebet "außer der Reihe" eingeladen. Der terroristische Attentatsversuch und die beiden Morde vom Mittwoch, 09. Oktober, in Halle an der Saale haben auch die Menschen hier im Kirchenkreis Halle/Westfalen sehr schockiert. Um ein Zeichen der Solidarität "von Halle nach Halle" zu senden, waren am Morgen des Schabbat nach dem Versöhnungstag Jom Kippur, der so furchtbar endete, waren etwa 70 Menschen in Versmold zusammengekommen.
Seit den Ereignissen im Herbst 2018 in Chemnitz und anderen Orten in Deutschland findet in Versmold regelmäßig ein Friedensgebet mit anschließendem Friedenszug unter dem Motto aus Artikel 1 des Grundgesetzes statt. Auch die Verlegung der ersten Stolpersteine für Versmolder Jüdinnen und Juden, die während des Holocaust verfolgt und ermordet wurden, war bereits Thema bei einem dieser Friedenszüge im Januar 2019. An diesem Samstag folgten etwa 70 Menschen aus Versmold, Halle, Borgholzhausen, Brockhagen und anderen Orten der Einladung zur Mahnwache.
Im Friedensgebet in der Petrikirche begrüßte Pfarrer Rüdiger Schwulst die Versammelten mit Gebet und Gesang mit hebräischen Worten „Shalom chaverim – Frieden sei mit euch, Freunde." In seinem Impuls zeigte Superintendent Walter Hempelmann die Verantwortung auf, die Menschen von Gott füreinander aufgegeben sei: „Wo ist dein Bruder, Kain? – Diese Frage, gestellt nach dem Brudermord", gelte angesichts des Holocaust auch heute noch, gerichtet an die Nachkommen: Wo ist deine Schwester, wo ist dein Bruder?
Mit Kerzen und Kieselsteinen in den Händen als dem Symbol der Trauer in jüdischer Tradition folgte der Gedenkzug dann dem Banner "Die Würde des Menschen ist unantastbar", das von evangelischen und katholischen Pfarrer*innen und des Ortes, dem Superintendenten und dem Bürgermeister der Stadt Versmold, Michael Meyer-Hermann, getragen wurde.
Auch diesmal führte die Route entlang der drei Orte, an denen im Dezember 2018 die Stolpersteine verlegt worden waren. Schließlich folgte der Zug Karl-Heinz Galling, der seit vielen Jahren Führungen zur Geschichte des Judentums in Versmold anbietet, an den Standort der ehemaligen Synagoge, die am 10 November 1938, im Nachklapp zur Pogromnacht des 9. November angegriffen, geschändet und zerstört worden war. Karl-Heinz Galling verwies darauf, dass bereits 1936 ein Vorfall mit jungen Versmoldern polizeilich festgehalten worden war. Die Thora-Rollen der Synoagoe seien verschmutzt und die Täter laut Polizeiakten von Eltern und Polizei ermahnt worden. Zwei Jahre später wurde die Synagoge dann angegriffen. Im Gedenken an den aktuellen Angriff und die beiden Morde hielten die Versammelten eine stille Trauerminute. Dann erklang das Friedenslied "Shalom chaverim", bis der Zug wieder auf dem Kirchplatz angekommen war. Dort war Gelegenheit, Steine, Blumen und Kerzen an sieben Lichtern, erinnernd an den jüdischen siebenarmigen Leuchter, abzulegen. Bürgermeister Michael Meyer-Hermann brachte in seinem Schlusswort seine tiefe Besorgnis angesichts des neuen Antisemitismus zum Ausdruck und verwies auf die Verantwortung der Gesellschaft, eine klare Haltung einzunehmen und öffentlich zu zeigen. Er schloss sich damit ausdrücklich den Worten des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier an. Er lud alle ein, sich beim jährlichen Gedenkgang am 10. November mit weiteren hoffentlich vielen Teilnehmenden wieder zu treffen.
In der Kirche hatten sich bis Sonntag mehr als 70 Menschen auf drei Kondolenzbriefen an die Familien der beiden Opfer sowie die Jüdische Gemeinde in Halle/Saale eingetragen. Diese werden nun mit der Kollekte des Friedensgebetes als Zeichen der Solidarität „von Halle nach Halle" geschickt. AK