Eine Lesung im Lager eines Bürstenhauses ist sicher nicht alltäglich. Wenn es aber um den fast erblindeten Otto Weidt (1883-1947) geht, der während des Zweiten Weltkrieges blinde und gehörlose Juden in seiner Werkstatt für Besen und Bürsten beschäftigte, sie damit vor Verfolgung schützte und einigen von ihnen das Leben rettete, indem er sie in Verstecken unterbrachte, versteht man den Zusammenhang.
Gernot und Jutta Redecker begrüßten die fünfzig Besucher in ihrer Firma, ebenso Pfarrerin Birgit Gillmann.
Eckehardt Ringewald las aus einem Buch von Inge Deutschkron, die bei dem Berliner Bürstenmacher im Büro unterkam, nachdem ihr als Jüdin eine höhere Schulbildung und eine Ausbildung versagt wurden. Sie nannte ihn „Papa Weidt“, so lautet auch der Titel des Buches. Er nahm sich ihrer an, obwohl es für Juden verboten war, im Büro zu arbeiten. Otto Weidt war überhaupt nicht ängstlich und kannte einflussreiche Leute.
Nach dem Krieg gründete er ein jüdisches Waisenhaus und ein Altenheim. Er wurde in der israelitischen Gedenkstätte Yad Vashem als einer der „Gerechten unter den Völkern“ geehrt.
Die Blindenwerkstatt ist weitgehend erhalten und kann in Berlin besichtigt werden.
Die heute 99-jährige Inge Deutschkron zog nach ihrer Flucht nach London, studierte dort Fremdsprachen. Später arbeitete sie in Tel Aviv als Redakteurin, bis sie 2001 ganz nach Berlin zog und heute den Förderverein „Blindes Vertrauen“ leitet.
In ihrem Schlusswort resümierte Pfarrerin Birgit Gillmann: „Wir wissen so wenig über jüdisches Leben. Aber es findet statt! Lassen Sie uns weiter neugierig sein und uns informieren. Jüdisches Leben in Deutschland ist etwas Selbstverständliches und Wertvolles!“
Zur Information trug Eckehardt Ringewald mit viel Hintergrundwissen sowie mit Fotos und interessantem Informationsmaterial bei, das er an einer Pinwand befestigt hatte. Die Gäste kamen darüber ins Gespräch und diskutierten angeregt über jüdisches Leben damals und heute. -dag-