Eigentlich wollte er gar nicht so lange in Harsewinkel bleiben. Am 1. April 1984 begann der heute 65-Jährige seinen „Hilfsdienst“ – heute Entsendungsdienst – in der zum Kreis Gütersloh gehörenden Stadt. Der Ort wurde ihm zur Heimat und die Menschen der evangelischen Kirchengemeinde wuchsen ihm ans Herz.Im Rückblick sagt er kurz und knapp: „Es war schön, es hat uns gefallen, daher sind wir gern geblieben.“
1956 wurde er in Hameln geboren, machte dort 1995 sein Abitur. Seine Mutter starb, als er acht Jahre alt war. Er wuchs bei seiner katholischen Tante auf. „Elf Jahre in einem katholischen Haus waren im Hinblick auf meinen späteren Einsatzort nicht ungut für mich, da Harsewinkel traditionell katholisch geprägt war“, spricht er ein Thema an, das bis zum heutigen Tage seine Herzensangelegenheit geblieben ist: die Ökumene.
Wie ist er zu seinem Beruf gekommen? Im Religionsunterricht der Oberstufe sprach ihn ein Pfarrer an, ob er nicht Theologie studieren möchte. Er wollte! 1976 begann er damit in Bethel, 1980 führte er sein Studium in Göttingen fort. Das Studium bezeichnet er als hochspannend. Nach einem Vikariat in Bielefeld kam er vier Jahre später nach Harsewinkel, wurde 1985 ordiniert und ein Jahr später in die Pfarrstelle eingeführt. Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Beerdigungen in der Mähdrescherstadt einschließlich dem Ortsteil Marienfeld gehörten nun zu seinem Alltag.
Aber würde man Martin Liebschwager darauf reduzieren, würde man dem beliebten Pfarrer auf keinen Fall gerecht! Er leitete etliche Jugendfreizeiten nach Schweden oder Südfrankreich, Projektfahrten nach Namibia, reiste mit Konfirmanden u. a. in die Niederlande. Dazu kommen Reisen nach Palästina oder Ägypten. Großveranstaltungen wie Kreis-Kirchentage oder das Weite Wirkt-Festival im Gerry Weber-Stadion sind ihm noch in besonders guter Erinnerung. Kochen gehört zu seinen Hobbies, das er für Aktionen wie „Kirche und Küche“ (Gemeinde kocht für Gemeinde) nutzt. Die Durchführung von Senioren-Weihnachtsfeiern und Sommerfesten liegen ihm am Herzen. Seine Maxime: Statt Hürden zu hoch zu legen, sollen Menschen niederschwellige Angebote erhalten, um zur Kirche zu kommen.
Und da ist die unermüdliche Arbeit für die Ökumene. Die „Charta Oecumenica“, die von Vertretern der evangelisch-lutherischen, römisch-katholischen und syrisch-orthodoxen Gemeinden unterschrieben wurde, legte Standards des Miteinanders fest, die ein gleichberechtigtes Miteinander pflegen. Martin Liebschwager hebt besonders die Freundschaft zu Pater Gottfried hervor und spricht über intensive Zeiten, die über das normale hinausgehen.
Befragt, wie man das alles neben der Arbeit eines Pfarrers schafft, schmunzelt Liebschwager. „Ich bin ein kommunikativer Typ, ein „Last Minute“ Mensch, kann improvisieren und habe Vertrauen in mich selber. Aber allein geht das nicht. Ich hatte immer Unterstützung aus der Gemeinde, von Kollegen, Freunden und ehrenamtlichen Mitarbeitern. Und nicht zuletzt hat mein Taufspruch aus Jesaja 43 (Fürchte dich nicht…) mich ein Leben lang begleitet.“
Bei all diesen Aktivitäten – und es sind beileibe noch nicht alle erwähnt - verwundert es nicht, dass bei seinem Abschiedsgottesdienst die 150 Plätze in der Kirche nicht ausreichten. Die offizielle Entpflichtung, vorgenommen von Superintendent Pfarrer Dr. André Heinrich, wurde nach draußen auf den Kirchplatz übertragen. Viele Wegbegleiter waren gekommen, unter ihnen Liebschwagers Nachfolger Pfarrer Jörg Eulenstein, der katholische Pfarrer Wim Wigger und Pater Gottfried, der aus Tirol angereist war.
Die Hände im Ruhestand in den Schoß legen? Auf gar keinen Fall! Martin Liebschwager übernimmt weiterhin Vertretungsdienste in der Gemeinde. Darüber hinaus stehen etliche Reisen auf dem Programm. Seit 40 Jahren hat er Freunde in Palästina. So wird er weiter Fahrten dorthin anbieten und als Reiseleiter fungieren. Aber nicht nur das. „Die Gespräche im Urlaub zwischen Pfarrer und Gemeindegliedern: da berühren sich Himmel und Erde“, ist er sich sicher.
Es wird mehr Zeit geben für das Kloster Marienfeld, in dem Martin Liebschwager mit seiner Lebensgefährtin einen Laden (Bücher, Wein und CDs) betreibt sowie Zimmer für Pilger des Jakobswegs anbietet. „Mit den Gästen gemeinsam frühstücken, mit ihnen die Alltagserfahrungen teilen, nicht missionarisch, sondern niederschwellig – das ist ein großes Geschenk. Auf Sicht würde ich gern den riesigen Garten am Kloster als Ort der Begegnung gestalten“, sprüht er vor Ideen.
Dann gibt es da noch den Weltladen gegenüber dem Pfarrhaus in Harsewinkel, der weit über die Region hinaus bekannt ist. Neben verschiedensten Projekten, Menschen aus benachteiligten Ländern zu helfen, werden dort unter anderem Produkte aus Olivenholz verkauft. Der Kontakt entstand über das Kennenlernen der Schnitzerfamilie in Palästina. Qualitativ gute Krippen in allen Größen sind das Markenzeichen. Auch hierfür freut sich der Ruheständler über mehr Zeit. Was für ein Allrounder! -dag-