Ewald Lienen nimmt kein Blatt vor den Mund. Dabei war der ehemalige Fußballspieler und -trainer einst als „Zettel-Ewald“ für seine Notizen bekannt. Heute sagt er lieber direkt seine Meinung, auch wenn die vielleicht nicht jedem gefällt. „Ich hoffe wirklich, dass Deutschland jetzt nicht Fußballweltmeister wird. Ich muss aber auch sagen, das droht auch nicht – Gott sei Dank!“ erzählt er den mehr als 80 Besuchern in der St. Georgskirche in Brockhagen. Der 68-Jährige ist nicht als WM-Prophet gekommen, sondern auf Einladung des kreiskirchlichen Projektes „Klimahelden im Alltag“ als Redner zum Thema Klimawandel. Und der, so fürchtet Lienen, könnte durch einen deutschen Gewinn bei der WM in Katar wieder einmal in den Hintergrund geraten. Corona, Ukraine-Krieg, Energiekrise – dauernd gibt es neue Entwicklungen, neue Themen, die mehr Raum einnehmen als der Klimawandel. „Klima machen wir nebenbei“, sagt Lienen kritisch. „Wir haben bei Corona gesehen, wie schnell ein Impfstoff entwickelt werden kann, wenn die ganze Welt zusammenarbeitet. Das müsste man auch beim Klimawandel. Denn Covid ist im Vergleich zu dem, was mit der Klimakatastrophe auf uns zukommt, ein Fliegenschiss“.
Ewald Lienen nutzt seine Berühmtheit schon länger, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. 2019 hat mit der Elterninitiative "Parents for Future" mehr als 100 000 Rote Klimakarten an das Kanzleramt in Berlin übergeben und ist Klimabotschafter des Kreises Lippe, im Stadion von St. Pauli gibt es Bienen-Völker und einen eigenen Lienen-Honig. „Deutschland muss Klimaweltmeister werden!“ ist das Motto des Ex-Fußballprofis, der sich für die Ausbeutung der Natur und eine oft sinnentleerte Konsum- und Leistungsgesellschaft schämt. Lienen sieht bei den westlichen Industrienationen eine historische Verantwortung, auch bei Deutschland: „Weil wir den ganzen Quark angefangen haben mit Industrialisierung und Kolonialisierung“. Deutschland habe die finanziellen Möglichkeiten und technologischen Kapazitäten, um ein Vorbild und Vorreiter zu sein.
„Es ist nicht so einfach, aber wir können was machen. Dafür ist ein Paradigmenwechsel nötig. Es geht nicht nur ums Klima, es geht dabei um alle existenziellen Bedrohungen wie Hunger, Armut, Krieg, Rassismus, Gewalt und Unterdrückung“, sagt Lienen. Dem gebürtig aus Schloß Holte-Stukenbrock stammenden Fußballer geht es nicht nur um Ökologie, es geht ihm auch um Ökonomische Aspekte und um soziale Gerechtigkeit. „Alles ist mit allem verbunden, das habe ich überall gelernt: als Trainer stehend vor einer Mannschaft oder auch in der Familie. Das Leben funktioniert in Kreisläufen“. Als Negativbeispiel für solch einen Kreislauf führt er das Unternehmen Bayer an. „Bayer Leverkusen ist mein Lieblingsunternehmen, das ich schon als Spieler abgelehnt habe. Erst bringen sie ihren genmanipulierten Samen auf die Felder, bespritzen ihn mit Pestiziden und machen das natürliche Gleichgewicht kaputt, um Erträge zu steigern. Und anschließend, wenn wir davon krank werden, kommen sie mit ihren Medikamenten, um uns zu kurieren“.
Neben der Chemieindustrie sind vor allem Politiker seine Feindbilder. Beim Namen Christian Lindner redet sich Lienen in Brockhagen gerne in Rage, aber auch Friedrich Merz regt ihn auf. „Sie müssen mich bremsen, wenn ich zu sehr über Politiker schimpfe“, sagte Lienen, aber keiner der Zuhörer wagt es ihn zu unterbrechen.
Zwei Stunden lang spricht er über Klimawandel und Verantwortung, über das, was dringend notwendig ist und darüber, wie man es erreichen kann. Und an der WM in Katar kommt er natürlich auch nicht ganz vorbei: „Tausende Menschen kommen nach Katar, wo sie quasi wie Sklaven in Zwangsarbeit stecken. Und warum? Weil wir in den westlichen Ländern Ausbeutungsmechanismen in Gang gesetzt haben, wir sind an den Menschenrechtsverletzungen mit schuld“. Von einem Boykott der WM hält er aber nichts: „Wir haben beim Fußball, beim Sport allgemein die Chance, auf bestimmte Dinge aufmerksam zu machen.“ Ebenso, wie er seinen durch Fußball erlangten Ruhm nun nutzt, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen.