In vielen Familien wird zur Weihnachtszeit eine Krippe aufgebaut: Das Jesuskind, Maria und Josef, die drei Weisen aus dem Morgenland, der Erzengel Gabriel und die Hirten gehören dazu. Auch Martin Liebschwager nennt eine Krippe sein Eigen. Aber es gibt einen großen Unterschied: Der Pfarrer im Ruhestand hat seine Krippe ganzjährig aufgebaut, sie besteht aus sage und schreibe mehr als 200 Figuren, dazu Häuser und Tiere. Es handelt sich um eine Provenzalische Krippe.
Zur Geschichte: Nach der Französischen Revolution war jede öffentliche Religionsausübung verboten, auch das Darstellen von Krippen. Das wurde zur Privatsache und in die Wohnzimmer verbannt. Die Provenzalen hatten eine pfiffige Idee: Sie begannen heimlich, neben den Krippenfiguren noch weitere aus Brotteig zu formen, zu bemalen und nach ihrem provenzalischen Lebensumfeld abzubilden. Diese Santons (kleine Heilige), die mit ihren verschiedenen Berufen, Trachten und Charakteren dargestellt und später aus Ton gefertigt wurden, erwecken den Eindruck, dass sie auf das Jesuskind zugehen und ihm ein Geschenk bringen. Keine schaut zurück, denn dann wären sie nicht reif für das Reich Gottes.
Schon zu Beginn seines Studiums in den siebziger Jahren entstand das Interesse Martin Liebschwagers an den Santons. Vor ungefähr zwanzig Jahren fasste er den Entschluss, mit dem Sammeln der circa drei cm großen Figuren zu beginnen. Alle direkt vom Hersteller, alle handbemalt. Der Pastor im Ruhestand reist leidenschaftlich gern, auch schon in seinem Berufsleben gehörten Namibia, Palästina, Ägypten, Schweden, Niederlande und viele weitere Länder zu seinen Zielen. Aber auf jeden Fall steht in jedem Jahr eine Fahrt in die französische Provence an. Auch 2023 soll es wieder nach Frankreich gehen und damit wird die Familie der Santons weiterwachsen.
Martin Liebschwager betreibt im Kloster Marienfeld den Klosterladen, zu dessen Sortiment eine vielfältige Bücherauswahl, erlesene Weine aus verschiedenen Ländern, eine Musikabteilung, Holzarbeiten, Karten für verschiedene Anlässe und Kerzen gehören. Er hatte die Idee, in der Weihnachtszeit seine Krippe dort aufzubauen und bis zum 2. Februar 2023 Führungen anzubieten. Die drei mal drei Meter große Platte, auf der er die Figuren samt provenzalischer Landschaft arrangiert hat, steht in einem separatem Raum.
Alle Santons haben ihre eigene Geschichte, die Martin Liebschwager zu erzählen weiß. Da ist der Korbflechter Vincent, der sich in Mireille verliebt hat, aber nicht den Segen ihrer Eltern erhält. Oder die Spinnerin, die Wolle als ihren Beruf bezeichnet und darüber nachdenkt, woher der Ausdruck „sich einwickeln lassen“ kommt. Oder der Mann mit einer Öllampe, mit der er die Wiege des Jesuskindes erleuchten möchte. Auch bekannte Namen finden sich unter den Figuren: Frederic Mistral, einer der wenigen Nobelpreisträger für Literatur in einer nicht staatlich anerkannten Sprache. Er sagte einmal über die Töpfer: „Der Ton ist in den Händen des Santonniers, was der Mensch in den Händen Gottes ist.“ Oder Sankt Franziskus von Assisi, der Schutzheilige der Santonniers und der Tiere sowie der Gründer des Franziskanerordens. Er wird mit einer Taube als Symbol des Friedens und einem Wolf dargestellt, da er den Vögeln predigte und ein Rudel wilder Wölfe zähmte. Oder Vincent van Gogh, der die Jahre 1888 bis 1890 in der Provence verbrachte und sein Maler-Kollege Paul Cézanne, der in Aix-en-Provence geboren wurde.
Seien Sie gespannt auf viele weitere Geschichten. Die Führungen finden von Dienstag bis Sonntag in der Zeit zwischen 14 und 18 Uhr statt. Um Anmeldung unter info[at]klosterladen-marienfeld.de wird gebeten.
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