Andacht vom 30. März 2014

30. März 2014 - Lätare

Der fremde Freund
Seit gestern habe ich einen neuen Freund. Obwohl er mir noch nicht ganz geheuer ist. Ich glaube, er lebt auf der Straße, ohne feste Arbeit. Er ist so einer, der von einem anderen Leben träumt. Als ich bei der Arbeit saß, kam er vorbei. Sprach mich an. Komisch eigentlich, aber wir hatten ziemlich schnell einen guten Draht. Und dann sagte er plötzlich: „Komm mit mir. Ich muss Dir etwas zeigen.“

Und ob Sie es glauben oder nicht – ich bin mitgegangen. Ich kann mir meine Arbeit ja frei einteilen. Ob mein Geschäft immer ganz legal ist? Ach Gott! Natürlich! Klar, jeder guckt auf seinen Vorteil. Man will ja schließlich überleben. Aber krumme Dinger mache ich nicht.
Hier am Ort bin ich jedenfalls gut vernetzt. Ein paar Beamte sind meine Freunde. Ein paar Unternehmer. Alles ehrenwerte Leute. Als ich später mit ihnen beim Essen lag, stand er plötzlich wieder vor der Tür.

„Was ist denn das für ein Hippie?“, fragten ihre Blicke. Er ließ sich jedoch nichts anmerken. Begrüßte die Freunde genau so entspannt wie am Nachmittag mich. „Ich hoffe, ich störe nicht.“ Abwehrendes Gemurmel. „Matthäus hat mich heute zum Essen eingeladen. Und anscheinend komme ich noch rechtzeitig.“ Einzelne Lacher.

Wenig später war das Eis gebrochen. Die Freunde waren neugierig geworden. Nur als Peter ihn gönnerhaft nach seinen Geschäften fragte, kippte die Stimmung. „Ich gehe zu den Menschen, die ihr Leben vertun,“ sagte er. Eisiges Schweigen. „Ich höre mir ihre Geschichten an. Und irgendwann sage ich zu ihnen: ,Komm mit mir. Ich muss Dir etwas zeigen!‘“

Sie können sich vorstellen, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Das Gleiche hatte er am Nachmittag zu mir gesagt. Aber er hatte ja recht. Er hatte mir meine eigene Sehnsucht gezeigt. Eine Ahnung, dass das Leben auch ganz anders sein könnte. Nicht immer nur Geschäfte und Kontakte und Frauen und abends ordentlich Wein, um sich zu entspannen. Was dann aus mir geworden ist, können Sie in meinem Buch nachlesen: dem Evangelium nach Matthäus, im 9. Kapitel.

von Dr. Sven Keppler, Pfarrer der Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Versmold.