Andacht zum 15. Oktober 2023

Andacht am Tag des weißen Stocks

Manchmal ist das Leiden so im Vordergrund, dass selbst zum Beten weder Kraft noch Konzentration möglich ist. Manchmal, weil Schmerzen einen ganz in den eigenen Rückzug gehen lassen. Dann bin ich nur beschäftigt damit, die Nacht zu überstehen, dann sind Kopf und Magen besetzt mit Schmerzmitteln und alles, was von außen an mich heran treten möchte, fühlt sich zu viel an, geht über die Kraft. Als ich neulich wegen einer Operation im Krankenhaus und in der Reha sein musste, war mir in keiner Weise nach Besuch, sogar Telefonate schienen mir eine übermenschliche Anstrengung, obwohl mir bewusst war, dass es die FreundInnen gut meinten, Anteil nehmen wollten, Kraft geben. 

So kann es geschehen, dass man nach und nach in sich selbst verkrümmt ist, die Welt außen gar als bedrohlich empfindet. Da ist sogar das Beten reduziert auf Schmerzensschreie, auf Tränen, gefangen im eigenen Kranksein.

Leichter gesagt als getan, was Jakobus (5, 13) seinen Anhängern mitgibt: Leidet jemand unter euch, der bete.

Die zweite Hälfte ist mir einleuchtender: ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen.

Selbst mitten im Gefühl von Schwäche und Schmerz, kommt mir plötzlich eine Melodie in den Sinn, ich summe, ich ergänze den Text, ich singe und für einen Moment ist mir leichter. Und nach und nach entfaltet sich mein Leben wieder. Vielleicht ist nicht alles, woran ich leide, verschwunden, vielleicht muss ich lernen, mit Einschränkungen zu leben, aber ich lebe wieder, erlebe, wie neue Kraft und Zuversicht in mich einströmen und ich den Austausch mit anderen wieder genießen kann. 

Heute erinnert uns der Tag des weißen Stocks an die Einschränkungen, die Menschen erfahren, die blind oder sehbehindert sind. Manchmal ist das eine große Umstellung, eine ziemlich beschwerliche Reise in eine ganz neue Kultur. 

Ich möchte allen Mut machen, die sich gerade auf ganz neue Wege begeben müssen, auf der Suche nach einem guten Leben trotz Krankheit oder Einschränkung. Gott hört deine Stimme, im Beten und im Singen.


Pfarrerin i.R. Elisabeth Hübler-Umemoto ist Synodalbeauftragte für die Blinden- und Sehbehindertenseelsorge im Kirchenkreis Halle