4. März 2012 – Reminiscere
„Du erforschest mich und kennst mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es.“ Wer an Gott glaubt, kann das voller Vertrauen zu ihm sagen. Neuerdings muss man diese Worte aber auch an Mark Zuckerberg und die Mitarbeitenden von Facebook richten. Und ich bin gespannt, ob sie ähnliches Vertrauen verdienen.
Ein Viertel der Deutschen nutzt Facebook, das soziale Netzwerk im Internet – ich selber natürlich auch. Von 22 Millionen Menschen wird hierzulande gespeichert, wie wir uns öffentlich darstellen: Was wir gerade machen und was uns gefällt. Und im Hintergrund noch viel mehr: Welche Seiten wir im Internet besuchen. Was wir einkaufen. Welche Freunde wir haben.
Früher erwartete fast jeder, dass Gott beim Jüngsten Gericht sein Wissen über die Menschen offen legen würde. Und viele blickten mit Angst auf dieses Ereignis, denn es sollte ja nicht nur sichtbar werden, was ich öffentlich getan habe. Sondern auch alles, was ich versucht habe zu verbergen und was ich am liebsten wieder ungeschehen machen würde.Facebook dagegen legt heute schon offen, was es über seine Nutzer weiß. Ich frage mich, warum fast niemand Angst davor hat.
Facebook ist die Antwort auf viele Sehnsüchte. Ich möchte wahrgenommen werden. Ich möchte selbst gestalten, wie andere mich sehen. Ich möchte mit einer großen Zahl von Freunden in Kontakt sein. Und ich bin neugierig, was die anderen gerade tun. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber niemand sollte meinen, kontrollieren zu können, was alles von ihm gespeichert und weitergegeben wird.
Denn eine tiefe Sehnsucht hat Facebook aus dem Auge verloren: den Wunsch nach Vertrauen. Mein Inneres möchte ich nur denen zeigen, denen ich vertrauen kann. Über meine Interessen und Taten sollen nur die Bescheid wissen, denen ich mich anvertrauen möchte. Das war ja auch immer die Antwort auf die Angst vor Gottes Gericht: Du brauchst vor Gott keine Angst zu haben, weil Gott dich mit liebevollen Blicken ansieht. Und wenn er etwas von dir preisgibt, dann auf verantwortliche Art und Weise. Dass das auch für Facebook gilt, wage ich nicht zu hoffen.
von Dr. Sven Keppler, Pfarrer der Kirchengemeinde Versmold