03. August 2014 - 7. Sonntag nach Trinitatis
Durchatmen
Es ist Sommer. Zeit für Ferien und Entspannen, die Seele baumeln lassen, den Puls des Lebens spüren, durchatmen.Ca. 40-mal in einer Minute atmen wir ein und aus, allerding in Ruhe, unter Anstrengung noch öfters. Bei großer Anstrengung ist man auch schon mal atemlos, gerät außer Atem, muss um Atem ringen. Erst einmal tief durchatmen, sagen wir manchmal. Das hilft in vielen Situationen. Wenn ich von einem Termin zum anderen eile, tut es gut, unterwegs einen Moment inne zu halten: erst mal tief durchatmen, dann geht es weiter. Durchatmen entschleunigt. Es kann mich ruhig werden lassen. Es kann mir helfen zwischen zwei Aufgaben, in Berührung mit mir selbst zu kommen. Einen Augenblick ganz bei mir selbst zu sein. Einen Augenblick auf das zu hören, was in mir vorgeht. Denn: Unser Atem sagt uns sehr deutlich, wie es um uns steht. Kann ich frei und ruhig atmen? Habe ich einen langen Atem? Oder bin ich außer Atem? Kurzatmig? Raubt mir etwas die Luft? Und was lässt mich so richtig aufatmen? Unser Atem sagt, wie es uns geht. Er bestimmt unser Leben. Wir leben von ihm, aber wir können ihn nicht willkürlich verlängern oder verkürzen. Wir können ihn nur in sehr engen Grenzen manipulieren, zum Beispiel wenn wir beim Tauchen die Luft anhalten oder bei einer künstlichen Beatmung.
Für das östliche Denken ist der Atem die Schnittstelle zwischen unserem Körper, unserem Geist und unserer Seele. Und er ist noch mehr. Für die Bibel ist unser Atem Gottes Geist, Gottes Lebenskraft, die uns durchweht. Die hebräische Sprache verwendet für das Wort Atem und Gottes Geist dasselbe Wort: RUACH. In uns fließt Gottes Ruach. Sein Atem. Seine Lebenskraft. Sein Geist. Auf sehr anschauliche Weise beschreibt das die Bibel, wenn sie erzählt, wie Gott den Menschen erschuf. Da formt Gott den Menschen aus Erde. Und dann bläst er durch die Nase des Menschen seinen Atem, seinen Geist in ihn hinein. Da wurde der Mensch atmendes Leben. In einem einfachen, aber unglaublich intensiven Bild wird da aussagt, wer wir Menschen sind.
Wir sind Erdlinge. Fleisch, Materie. Und zugleich sind wir mehr. Denn Gottes Geist- Atem wohnt in uns. Durchdringt die Erde. Jeder Atemzug ist sozusagen ein Atmen desgöttlichen Lebens ins uns. Immer durchweht uns Gottes Atem. Ob wir wachen oder schlafen. Ob wir darauf achten oder nicht. Immer in einem bestimmten Rhythmus. Ein und Aus. Aufnehmen und Loslassen. Solange wir leben.
„Gott atmet in dir mehr als du selbst.“ So hat es der Dichter und Pfarrer Kurt Marti einmal gesagt. Aufmerksam auf den eigenen Atem zu achten, heißt mit Gott, mit seiner Kraft, in Berührung zu kommen. Einmal alles lassen und Gott in mir atmen lassen. Da braucht es dann vielleicht keine Worte mehr. Gott atmet in mir. Vielleicht gerade dann, wenn mir die Worte fehlen.
Paulus schreibt darüber im Römerbrief: "Desgleichen hilft auch der Geist, der Atem, unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich´s gebührt, sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.“
Beten heißt dann also: Gottes Geist in uns atmen, manchmal auch in uns seufzen lassen. Einatmen und Ausatmen. So beten wir zu Gott und so betet Gott in uns. Ein ganzes Leben lang. Vom ersten bis zum letzten Atemzug. Das Atmen geschieht in einem bestimmten Rhythmus: wir atmen ein, wir atmen aus. Wir können uns diesem Rhythmus nicht entziehen, selbst wenn wir es wollten. Ich kann nicht beschließen: „Ab sofort halte ich die Luft an und höre auf zu Atmen.“ Der Rhythmus ist stärker. Spüren Sie Ihren Atem? Wie er langsam hineinströmt in die Lungen und wieder heraus? Das ist der Rhythmus des Lebens, den Gott uns gibt. Darauf kommt es an: Luft holen, den Atem wieder finden, den eigenen Rhythmus entdecken. Denn: Gott gab uns Atem, damit wir leben. Das ist das Geschenk, das uns am Morgen bis in die Nacht begleitet, vom Anfang bis zum Ende unseres Lebens.
von Claudia Bergfeld, Pfarrerin der Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Werther und Frauenbeauftragte des Evangelischen Kirchenkreises Halle.