Andacht vom 28. Oktober 2018

Andacht zum 22. Sonntag nach Trinitatis, 28. Oktober 2018

Angst vor dem Fremden

Es ist mir furchtbar schwer gefallen damals, als ich zum ersten Mal den Treff International des Runden Tisches Flüchtlingsarbeit Rödinghausen besucht habe. Und ich kann mir vorstellen, den vorwiegend älteren Frauen um mich herum ging es genauso. Da kamen junge Männer zwischen 20 und 40, von denen wir nicht wussten, ob sie deutsch konnten – oder zumindest ein bisschen englisch. Und dann saßen sie da am Tisch, eine Gruppe junge Männer mit dunklem Hauttyp und schwarzen Haaren. Und da sollte ich mich jetzt dazusetzen? Ja, das war eine echte Überwindung.

Mittlerweile ist der Treff knapp drei Jahre alt. Und die Gespräche haben sich sehr verändert. Nicht nur, weil die Deutschkenntnisse sprunghaft angestiegen sind. Sondern auch, weil sich mittlerweile echte Freundschaften entwickelt haben. Weil Menschen sich trauen, von den schweren Geschichten ihrer Flucht zu erzählen. Und von ihren Familien, die noch in Homs oder Aleppo sitzen und so sehr hoffen, ihre Ehemänner und Väter wiederzusehen. Die Not der Menschen bekommt ein Gesicht. Und meine Angst? Die hat sich verflüchtigt.
Jesus sagt: Liebt Eure Feinde. Er sagt das, weil er weiß: Es ist normal, Angst zu haben vor dem Fremden. Das ist uns Menschen angeboren. Und doch: Wenn wir es schaffen, diese Angst zu überwinden, können aus Fremden Freunde werden.

Jesus sagt: Liebt eure Feinde. Das heißt erstmal: Lernt sie kennen, diese Menschen, vor denen Ihr Euch fürchtet. Lasst sie an Euch ran, bevor Ihr urteilt.
Jesus sagt: Liebt Eure Feinde. Ihre Freunde lieben auch die Heiden. Tut nicht nur denen Gutes, die die gleiche Hautfarbe haben oder die gleiche Sprache oder Religion. Sondern grade auch denen, die dem Westen und dem Christentum gegenüber feindlich eingestellt sind. Das wird ihre Herzen überwinden. Lasst euch nicht vom Bösen überwinden, sondern überwindet das Böse mit Gutem.

von Johannes Heicke, Pfarrer der SELK-Bethlehemsgemeinde Rotenhagen.