Andacht zum 05. April 2020

Wort zum Palmsonntag, 05. April 2020

Distanz und Nähe

Dem Palmsonntag kommt in der Geschichte des Leidensweges Jesu eine besondere Bedeutung zu. Wir erinnern uns an seinen Einzug in die Stadt Jerusalem. Jesus wird mit seinen Jüngern unter großem Jubel empfangen. Die Menschenmassen stehen am Straßenrand, heißen ihn mit Palmenzweigen willkommen wie einen großen König.

Menschenmassen, frenetischer Jubel durch hunderte oder gar tausende von Menschen: zurzeit völlig undenkbar! Es herrscht Kontaktverbot. In dem Zusammenhang wird immer wieder von sozialer Distanz gesprochen. Der Distanz stimme ich uneingeschränkt zu: aber bitte nur körperliche Distanz. Bitte keine soziale Distanz. Ohne soziale Nähe würden alleinstehende Menschen erst recht vereinsamen; ohne soziale Nähe würde der manchmal zu beobachtende Egoismus noch mehr überhandnehmen. Bei sozialer Distanz wären die vielen Hilfsangebote, die ganz schnell ins Leben gerufen wurden, gar nicht möglich. Körperliche Distanz, die ist in jedem Fall jetzt angesagt, auch wenn uns das schwerfällt. Aber ich möchte mir nicht ausmalen, wie das aussieht, wenn die soziale Distanz dazukommt.

In Jerusalem sah das so aus, dass aus dem Jubel, mit dem Jesus empfangen wurde, innerhalb weniger Tage ein regelrechter Shitstorm wurde, der in der Forderung „Ans Kreuz mit ihm!“ seinen Höhepunkt fand.

In dieser Krisenzeit möchte ich ganz ausdrücklich an alle appellieren: Bleibt körperlich auf Abstand, aber lebt soziale Nähe. Denn, dass es Alltag wird, dass einer afrikanischen Familie der Zugang zu einem Laden verwehrt wird, das kann niemand allen Ernstes wollen. Oder dass der alleinstehende Senior seinen Lebensmut verliert. Oder dass die Gewaltbereitschaft in Familien zunimmt, oder… Nein, das wollen wir nicht. Und es gibt ganz viele Möglichkeiten, trotz körperlicher Distanz sozial miteinander in Kontakt zu treten und für andere da zu sein.

Ich schließe mich dem Ruf der Menge an, mit dem Jesus in Jerusalem empfangen wurde: Hosianna! Zu Deutsch: Hilf doch!

Susanne Absolon ist Pfarrerin in der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Versmold