Andacht vom 20. Oktober 2019

Wort zum 18. Sonntag nach Trinitatis, 20. Oktober 2019

Du erforschst mich…


Intelligenten Stromzähler können erkennen, wann ich meine Elektrogeräte einschalte und wie lange ich sie nutze. Sie erstellen ein genaues Profil meines Verhaltens: Wie oft wasche ich meine Wäsche? Wann höre ich Radio? Oder wie oft sauge ich Staub? Die Stromanbieter versprechen zwei Dinge. Mit den intelligenten Stromzählern können die Stromnetze ökologisch verbessert werden. Weil die Konzerne genau wissen, wann ich wieviel Strom verbrauche.
Und es soll so genannte Mehrwertdienste für uns Kunden geben. Die sollen sogar helfen, Leben zu retten. Etwa bei der alten Dame, die jeden Morgen um sieben Uhr ihren Kaffee kocht. Der intelligente Stromzähler weiß das natürlich. Und er merkt, wenn die Dame das plötzlich einmal nicht tut. Dann löst er einen „sozialen Alarm“ aus. Eine sms oder eine Pop-up-Mitteilung kommt auf das Smartphone der Kinder. Und die können dann bei der Dame nach dem Rechten sehen. Was für ein Segen!
Natürlich müssen wir Nutzer dafür einen Preis zahlen. Zum Beispiel die Gebühren für die Mehrwertdienste. Aber auch wenn wir diese Dienste nicht nutzen, wird unser Alltag völlig transparent. Denn für die effizienten Stromnetze der Zukunft ist es angeblich unverzichtbar, das genaue Profil meines Stromverbrauches zu kennen.
„Du erforschst mich und kennst mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege. Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“ So steht es im 139. Psalm. Ein Gebet, das sich an Gott richtet. Diesen allwissenden Gott scheint sich die Stromindustrie zum Vorbild genommen zu haben.
Meinem Gott kann ich vertrauen. Ich bin sicher, dass er es gut mit mir meint. Was immer er von mir weiß – bei ihm ist es gut aufgehoben. Aber mir fehlt das Vertrauen, dass es beim Strom genauso ist. Wenn ich sowieso alles auf Facebook poste, kann mir das egal sein. Aber das tue ich nicht. Meine Privatsphäre ist mir etwas wert. Und ich kann doch nicht der Einzige sein!

Dr. Sven Keppler ist Pfarrer in der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Versmold