Andacht vom 24. Juli 2016

Wort zum 09. Sonntag nach Trinitatis, 24. Juli 2016

Reich beschenkt

Besorgnis und Verunsicherung entnehme ich den Gesprächen mit anderen als Reaktion auf die Terroranschläge und den Putschversuch in der Türkei. „Da mag man gar nicht mehr verreisen, so unsicher erscheint die Welt.“ „Zwei Tage später und meine Großnichte wäre in Nizza gewesen.“ „Es macht mich besorgt, dass die Türken jetzt auf den Demos zeigen, wie viel mehr sie mit ihrer ursprünglichen Heimat, als mit unsrem Land verbunden sind.“ „Wie soll es werden, wenn die Türkei sich immer mehr von europäischen Standards entfernt?“

Was sagt uns der Spruch aus der Bibel, der uns für die kommende Woche mit auf dem Weg gegeben wird: „Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.“ Lukas 12,48 

Eine Antwort gibt der Vers nicht direkt, aber eine Richtungsweisung schon. Er verdeutlich mir: Wir haben ganz viel! Natürlich ist „viel“ ein relativer Begriff, der sich besonders im Vergleich verändert. Vergleiche ich mich mit den Millionären oder schaue ich auf die Mehrzahl der Menschen in dieser Welt? Ich tue das Zweite und staune: Wir haben eine außerordentliche gut funktionierende hochqualitative Gesundheitsversorgung. Wir genießen Frieden seit Jahrzehnten. Wir leben in einer Demokratie, in der Rechtsstaatlichkeit nicht nur eine Worthülse ist. Wir haben ein gut ausgebautes Sozialsystem. Unser Lebensstandard ist außerordentlich hoch, so dass Viele viel mehr haben, als sie gebrauchen können. Natürlich ist nicht alles perfekt bei uns, manche fallen auch durch die Maschen unseres Sozial- und Rechtsstaates. Trotzdem wir haben viel, und das nicht nur in materieller Hinsicht. Dazu gehören auch Bildung, wissenschaftliche Erkenntnisse, Begabungen und vieles mehr.

„Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.“

Der Wochenspruch weist indirekt darauf hin, dass uns dies alles geschenkt ist von Gott, dem Geber aller Gaben. Darüber können wir uns freuen und dankbar sein. Zugleich stellt er uns aber auch dem fordernden Geber gegenüber. Er fordert die rechte Verwaltung der Gaben ein. Diese Gaben sollen nicht nur für uns selbst eingesetzt werden, nur das eigene Glück oder die eigene Sicherheit bestärken. Nein, diese Gaben gehören nicht nur uns, sie sind uns nur geliehen. Sie sind gerade auch für andere da.

Meine frühere Vermieter hat dies bezüglich ihrer zwei Häuser so auf den Punkt gebracht: „Eigentum verpflichtet.“ Wir sollen also daran denken, unser Wissen, unsere Bildung, unsere positiven Erfahrungen mit der Demokratie, unsere Mittel zu teilen. Gott ruft uns zur Weitergabe auf, an solche, denen, wenig gegeben wurde oder die vieles verloren haben. Nur so kann die unterschiedliche Zuteilung ausgeglichen werden, mehr soziale Gerechtigkeit entstehen. Das ist die beste Vorbeugung gegen Terror und Gewalt. Wir können damit im Kleinen anfangen und werden spüren, wie reich beschenkt wir sind.

von Silke Beier, Pfarrerin in der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde in Werther