Andacht zum 05. September 2021

Wort zum 14. Sonntag nach Trinitatis, 05.09.2021

Bibel und Zeitung

Bibel und Zeitung sind in gewisser Hinsicht so verschieden, wie man es sich nur denken kann. Gilt die Zeitung von gestern bereits als veraltet, so sind die jüngsten Texte der Bibel fast 2000 Jahre alt. Findet man in der Zeitung die Alltagssprache vor, so verlangen viele Verse der Bibel nach eingehender Meditation. Will die Zeitung über das Geschehen in der Welt informieren, so bringt die Bibel Gott und Mensch miteinander ins Gespräch.

Und doch: es ist gut, wenn sie dicht beieinander liegen, Bibel und Zeitung. Denn wir brauchen beides: die journalistische Aufarbeitung des Tagesgeschehens – und eine Perspektive, die uns dem Tagesgeschehen nicht einfach ausliefert.

Zur Zeit prasseln viele Negativnachrichten auf uns herein: die Tragödie dessen, was zur Zeit in Afghanistan geschieht, immer neue Nachrichten von Unwettern, die an den Klimawandel mahnen, die nicht enden wollende Coronakrise und so viel anderes mehr. Wer allein die Zeitung liest, dem möchte es manchmal angst und bange werden. 

Mit diesen Nachrichten, die nicht nur den Kopf erreichen, sondern auch Herz und Seele berühren, liest sich die Bibel anders. Die biblischen Texte führen nicht weg von den Tagesereignissen, sondern sie helfen uns, diese mit ins Gebet zu nehmen. 

In einem Psalm heißt es: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.“ Der Psalmbeter weiß sehr wohl darum, dass es Zeiten geben kann, in denen man eine allgegenwärtige Ratlosigkeit verspürt. Und dann? Dann, so sagt es der Psalmist, kommen von Gott noch immer Licht und Orientierung. Und diese können mal die Geduld und mal die Kraft zur mutigen Tat freisetzen. Gottes Licht kann mal die Phantasie beflügeln für neue Wege und dann auch Trost spenden.

Bibel und Zeitung, ich möchte beide nicht missen. Ich lese Zeitung, weil ich die Welt, in der ich lebe, verstehen und mitgestalten will. Aber ich lese auch in der Bibel, weil die Welt nicht von Gott verlassen ist. Die Bibel eröffnet den Blick über den Tellerrand des Tagesgeschehens. Und Gott sei Dank, dass es diesen Blick gibt!

Holger Hanke ist Pfarrer in der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Werther