Wort zum 15. Sonntag nach Trinitatis, 29. September 2019
Nicht allein
„Wissen Sie noch, Sie haben mir doch vor zwei Jahren dieses Holzkreuzchen geschenkt.“ Die junge Frau steht vor mir, an der Straßenecke, und kramt in ihrer Handtasche. Dann zeigt sie mir das Kreuzchen. „Es tut mir so gut, habe es immer bei mir. Es erinnert mich daran, dass ich nicht alleine bin.“ Ich kann mich gut an die Situation damals erinnern, an unsere Gespräche und dass ich ihr dieses kleine Kreuzchen geschenkt hatte. Sie hatte es zu der Zeit ganz schwer – und jetzt freut es mich, dass ihr das Kreuzchen gut getan hat.
Ich habe auch oft so ein kleines Kreuzchen bei mir. Es ist ein Zeichen für die Liebe und Nähe Gottes, die er uns in Jesus gezeigt hat. Der Psalmbeter des 139. Psalms sagt: „Gott, du umgibst mich von allen Seiten und hältst deine Hand über mir“. Aber ich vergesse das oft, wenn ich in meinen Sorgen gefangen bin. Sorgen führen oft ein Eigenleben, und je mehr ich mich ihnen zuwende, umso mehr Kraft bekommen sie. Das Kreuzchen ist handfest, holt zurück in die Realität. Ein kleiner Schritt, um im Trubel der Sorgen und des Alltags zur Ruhe zu kommen. Wir brauchen solche Momente, um uns nicht einfach von dem Strudel der Gefühle mitreißen zu lassen.
Es gibt viele Wege, zur Ruhe zu kommen und Abstand zu gewinnen. Ein Spaziergang tut gut, Bewegung und frische Luft. Zehn Minuten in einer offenen Kirche sitzen oder zum Gottesdienst gehen. Manchmal eine Kerze zu Hause anzünden, die mir von Gottes Nähe und seinem Licht erzählt, ein Gebet und das Vater unser - oder auch ein Gespräch mit einem anderen Menschen. Geteiltes Leid ist halbes Leid.
Manche Sorgen sind sinnvoll, wenn sie angemessen sind und uns auf etwas hinweisen, was geklärt werden muss. Dann sind konkrete Schritte hilfreich, um der Not zu begegnen, die uns da vor Augen steht. Aber bei manchen Sorgen ist es gut, Abstand zu gewinnen, zur Ruhe zu kommen, nicht allein zu bleiben und zu spüren, was der Beter des 139. Psalms sagt: „Gott, von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“
Friedrich Karl Völkner ist Pfarrer im Ruhestand