Wort zum 29. April 2020

Der Schutz des Lebens ist kein absoluter Wert – mit diesem Gedanken machte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble vor ein paar Tagen Schlagzeilen. Er plädiert dafür, angesichts der Corona-Krise nicht „alles“ dem Schutz von Leben unterzuordnen. Die vom Grundgesetz geschützte Würde des Menschen „schließt nicht aus, dass wir alle sterben müssen.“Natürlich stimmt es, dass wir für ein Leben ohne Tod nicht geschaffen sind. Und trotz aller medizinischen und staatlichen Vorkehrungen werden auch weiterhin Menschen an Covid-19 sterben. Aber ist es gut, dass jetzt diejenigen Politiker Morgenluft wittern, die sich schon mit ihrer frühen Kritik am großen Shutdown nicht gerade mit Ruhm bekleckert haben? Und fallen nicht Schäubles Gedanken gerade bei denen auf fruchtbaren Boden, die sämtliche Corona-Maßnahmen von vornherein als Unsinn abgetan haben und sowieso immer alles besser wissen? In wie vielen öffentlichen Statements werden die Schul- und Kitaschließungen als „Wegsperren“ der Kinder, die staatlich verordneten Einschränkungen des öffentlichen Lebens als verschwörerische Maßnahme der Machthaber zur Entmündigung des Volkes beschimpft, von noch dümmeren Gedanken ganz zu schweigen?Nun werden ja die strengen Einschränkungen unserer Gesellschaft teilweise wieder gelockert, Geschäfte dürfen öffnen, Schulen nehmen allmählich ihren Betrieb wieder auf, auch öffentliche Gottesdienste werden bald wieder stattfinden können. Aber ein Blick auf den Massenbetrieb in manchen Innenstädten oder auch in Garten- und Heimwerkermärkten in diesen Tagen macht deutlich, dass es ganz sicher einen erneuten Anstieg der Infektionszahlen geben wird. Und nach wie vor gibt es in unserer Gesellschaft Menschen, die in Todesgefahr geraten, wenn sie sich mit dem Virus anstecken. Diese „Schwachen“ zu schützen, ist ein grundlegendes Prinzip der christlichen Nächstenliebe. Und es ist nicht hoch genug zu würdigen, dass unser Staat – und mit ihm die Mehrzahl seiner Bürger – dieses Prinzip, diesen Wert in der Zeit der Krise höher stellt als Wirtschaftswachstum und Globalisierung, die bisher oft genug zu modernen Götzen entartet sind. Christinnen und Christen können dem eigentlich nur zustimmen und immer wieder für den Schutz der Schwachen eintreten – es darf auch weiterhin nichts Wichtigeres geben!

Von Pfarrer Christoph Grün