Andacht vom 19. August 2018

Wort zum 12. Sonntag nach Trinitatis, 19. August 2018

„Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen,
und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen!“
(Jesaja 42,3 – biblisches Geleitwort für die 34.Kalenderwoche 2018)

Ich weiß nicht, wie Sie dieses alte Verheißungswort der Bibel aus dem Buch des Propheten Jesaja gerade hören? Was löst es aus? Welche Gedanken entstehen? Was für Gefühle, Bilder, Fragen und Haltungen? Welche Erfahrungen und Wahrnehmungen vernetzen sich damit? Schlicht, was für eine Reaktion stellt man in der Begegnung mit diesem biblischen Satz in sich fest?
Rein sachlich ist die Sache klar. Dieser eine Satz ist eine Zusage; eine Zusage Gottes - ursprünglich und vor langer Zeit in die Situation des Volkes Israel hineingesagt. In eine Situation, in der die Betrof¬fenen aufgrund ihrer Selbstentfremdung von Gott ins Exil, in die Heimat- und Sicherheitslosig-keit, hinweg¬ge¬¬¬¬¬führt wurden – nach Babylon.
Viele werden diese Geschichte wohl noch kennen.

Diese Wegführung bedeutete den Verlust von Verwurze¬lung, von Normalität und sicherer Geborgen-heit. Das Nicht-Erwünschte wurde plötzlich Realität. Dahinter kam man nicht mehr zurück. Fassungs¬losig¬¬keit stellte sich ein. Das Selbstverständnis der Menschen erfuhr einen schmerzhaften Knacks. Es war „geknickt“ wie ein angetrockneter Röhrichtstengel im Schilf. Und die Hoffnung, dass sich die Katastrophe wieder schnell und wie von selbst regeln könnte, hatte nur noch die Kraft eines „glimmenden Dochtes“. Sie ging annähernd gegen Null.
Aber da wird die verheißungsvolle Zusage Gottes hörbar.

Und wie geht es uns damit? Lässt sie uns unberührt? Reicht sie bis in unser Leben hinein, bis in die Exils-Erfahrungen, die auch wir heute machen? Gibt es sie überhaupt: aktuelle Erfahrungen, die uns die beunruhigende Wegführungen aus Normalität, Beheimatung und Sicherheit erleben lassen?

Es geht mit diesen Fragen ja nicht darum, den Teufel an die Wand malen oder Verschwörungsthe-orien kolportieren zu wollen. Nein! Aber was ist – von den politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen um uns herum einmal abgesehen - mit der augenblicklich seit Wochen andauernden Hitze- und Dürreperiode? Als Folge des Klima-Wandels ist sie ja inzwischen ebenso wenig zu leugnen wie der Umstand, dass auch wir dazu maßgebliche Beiträge geleistet haben. Der außerge-wöhnliche Hitzegürtel reicht seit Wochen von Nordafrika bis zum Nordkap. Das hat auf Ernte und Versorgung Auswirkungen. Erstmals brennen zudem auch nördlich des Polarkreises Moore und Wälder. Gletscher und Polarregionen schmelzen sowieso schon länger. Die Meeresspiegel steigen und die Grundwasserstände sinken. Das Wetter spielt zunehmend verrückt. Zeichen dafür, dass eigentlich einzuhaltende Grenzen längst überschritten wurden.
Exile! Wegführungen aus dem Bisherigen, aus Normalität und dem, was trotz allem Geborgen¬heit bedeutet hat.

Wie kann da das biblische Geleitwort für die kommende Woche gehört werden?
Ähnlich wie damals in Israel kann es ad hoc an den bestehenden Umständen wenig ändern. Die Situation ist, wie sie ist. Aber können und wollen wir – wie die Israeliten damals – die Zusage Gottes als Grundlage für ein neues Verhalten annehmen? Für ein Verhalten, das auf die nach wie vor bestehende Güte des  Schöpfer baut und ihm deshalb mit Demut und Vertrauen, mit Einsicht, Verantwortung und Mut die Ehre gibt und damit der Schöpfung und uns selbst dient?
Können, wollen und werden wir diese grundsätzliche Verhaltensänderung wagen?
Abgesehen davon, dass es dazu zum Erhalt alles Geschöpflichen keine Alternative gibt, wünsche ich es Ihnen, mir und dieser Welt von ganzem Herzen.
In diesem Sinne und mit Mut.
Denn:
„Gott, der Herr, wird das geknickte Rohr nicht zerbrechen
und den glimmenden Docht nicht auslöschen!“

Ulrich Potz ist Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Steinhagen