Andacht vom 20. Mai 2012

20. Mai 2012 - Exaudi

Vor einer Woche durften wir es wieder erleben: Selten ist unsere Stimme so heiß begehrt wie im Wahlkampf. Mit allen Mitteln wird um sie gerungen. Mit Argumenten, Blumen, Plakaten und Kugelschreibern. Uns wird vermittelt: Deine Stimme zählt! Sie findet Gehör. Ob das so ist, zeigt sich meistens erst nach der Wahl. Auf jeden Fall ist meine Stimmabgabe mit Erwartungen verbunden. Ich erwarte, dass die Partei, die meine Stimme bekommt, zu ihren Versprechen steht. Letztlich muss sie sich spätestens bei der nächsten Wahl an meinen Erwartungen messen lassen.

„Höre meine Stimme, Gott!“ Unter diesem Motto steht dieser Sonntag, der den Namen Exaudi trägt. Was kann ich eigentlich erwarten, wenn ich meine Stimme an Gott richte? Wie konkret dürfen meine Erwartungen sein? Wenn ich erlebe, dass meine Bitten nicht erfüllt werden, nimmt meine Erwartungshaltung schnell ab.  Und was dann?

Im Blick auf diese Frage beeindruckt mich die Haltung, die ich in vielen Psalmen finde. Menschen bringen offen vor Gott, was sie bewegt. Ganz konkret und mit der Erwartung, dass Gott ihre Stimme hört. Dabei werden ihre Erwartungen nicht immer erfüllt. Die Psalmen sprechen die Situationen deutlich an, in denen Gott fern zu sein scheint. Und die Klage darüber hat Raum in ihnen. Trotz dieser Erfahrungen bleibt ein Vertrauen spürbar, dass Gott im Leben der Psalmbeter wirkt.

So stehe ich zwar ratlos vor Gott und frage, warum er meine Erwartungen nicht erfüllt. Doch durch die Psalmen weiß ich, dass Gott meine Klagen darüber hört. Gott hat es eigentlich nicht nötig, sich an meinem Erwartungen messen zu lassen. Schaue ich aber auf meine guten Erfahrungen mit ihm zurück, kann ich wieder neues Vertrauen fassen. Ein Vertrauen darauf, dass Gott in meinem Leben handelt, wenn auch anders als ich erwarte. Ich lasse mich von der Haltung der Psalmen anstecken und glaube, dass es eine gute Wahl ist, seine Stimme an Gott zu richten. „Höre, Herr, wenn ich nun mit lauter Stimme rufe sei mir gnädig und antworte mir!“ (Psalm 27,7)

von Tim Henselmeyer, Vikar in der Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Halle.
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