29. Januar 2012 - 4. Sonntag nach Epiphanias
Gesegnet sein
Vor einer Woche war ich in Jerusalem im Israelmuseum. Dort ist in einer Vitrine eine kleine Silberrolle aus dem 7. Jahrhundert vor Christus zu sehen, erst vor kurzem ausgegraben, der älteste erhaltene Text des Alten Testaments. Sie enthält den etwa 3000 Jahre alten priesterlichen Segen, der oft am Ende des Gottesdienstes gesprochen wird: „Der HERR segne dich und behüte dich. Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Der HERR erhebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.“
Der mittlere Satz dieses Segens spricht mich besonders an: „Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir.“ Wann hat ein Angesicht über uns geleuchtet? Vielleicht, als wir noch ganz kleine Babys waren. Da sind wir morgens aufgewacht, haben ein bisschen vor uns hin gejammert – und dann leuchtete das Gesicht der Mutter oder des Vaters über uns und wir hörten eine Stimme, halb singend: „Hallo, mein Schatz! Hast Du gut geschlafen?“ Und dann wussten wir: Es ist alles gut! Für mich wird gesorgt.
Wer das so erleben durfte, bei dem konnte das Urvertrauen ins Leben wachsen: Ich bin nicht allein. Ich werde geliebt. Für mich ist gesorgt.
Dieses Bild von dem leuchtenden Angesicht wird nun von Gott ausgesagt: Gott lässt sein Angesicht über dir leuchten. Er freut sich an dir. Er sagt dir zu: Du bist geliebt. Ich kenne dich.
In Jesus ist uns dieses leuchtende Angesicht Gottes begegnet. Er hat die Menschen mit Liebe angesehen und war für sie da. Und denen, die schuldig geworden sind und zu ihm kamen, hat er Gottes Vergebung zugesagt. Und nach Ostern hat er seinen Jüngern gesagt: „Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“.
„Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über Dir“. Er lässt es auch leuchten, während Sie diesen Text gerade lesen. Vielleicht machen Sie jetzt einfach mal einen Moment lang die Augen zu und nehmen das wahr: „Gott lässt sein Angesicht über mir leuchten“. Und wenn Sie in diesem Licht eine Weile bleiben - vielleicht leuchtet ja dann auch Ihr Angesicht, wenn Sie dem nächsten Menschen begegnen.
von Friedrich-Karl Völkners, Pfarrer im Ruhestand.