Andacht vom 11. September 2011

11. September 2011 - 12. Sonntag nach Trinitatis

Als vor mehr als 20 Jahren mein Patenkind in Bethlehem getauft werden sollte, hatten seine Eltern u.a. mich als Taufpaten auserkoren. Die Taufe sollte in einer griechisch-katholischen ("melkitischen") Kirche stattfinden, einer Konfession, die wir in unseren Breiten kaum kennen. Die Taufe selbst sollte ein griechisch-orthodoxer Priester aus Jerusalem vornehmen. Als wir uns gemeinsam zum Taufgespräch zusammen fanden, fragte ich ihn, ob ich denn überhaupt Taufpate werden könnte. Und er antwortete relativ trocken: na ja, nach seinem Kirchenverständnis sei ich zwar ein Ketzer, aber das macht nichts, schließlich sei ich auch ein Christ. Und damit wurde ich auch offiziell als Pate ins Kirchenbuch eingetragen.

Gelernt habe ich damals, in einem geographischen und religiösen Umfeld, das sehr deutlich vom Islam geprägt ist, verschwimmen die innerkirchlichen Grenzen der Konfessionen. Wichtig allein ist das Bekenntnis zu Jesus Christus und die soziale Größe "Christ zu sein".

In dieser Woche feiern wir in Harsewinkel einen ökumenischen Stadtkirchentag, während dem wir uns auch bemühen, konfessionelle Grenzen nicht als Trennlinien zu formulieren, sondern Wege zu finden, die Grenzen zu überschreiten. Uns nicht als katholisch, evangelisch oder orthodox zu definieren, sondern als Christen, die sich dem gemeinsamen biblischen Auftrag zur Einheit verpflichtet fühlen. Das klingt sehr schön und einleuchtend, ist im Alltag aber gar nicht so einfach. Denn wir alle müssen dabei lernen, auch Vertrautes in einem neuen Licht zu sehen und in den Schuhen des anderen gehen zu lernen, damit unser Weg ein gemeinsamer wird.

Jesus hat uns immer wieder Mut gemacht, radikal Neues zu leben, als er seine Jünger berief, als er Menschen in ihren gewohnten Lebensvollzügen ein neues und letztlich reicheres Leben entgegen lebte. Und auch eine der Kernbotschaften der Reformatoren beinhaltete genau dies, dass Kirche niemals statisch ist, sondern sich ständig verändern muss, um lebendig zu bleiben. Veränderung hatte damals etwas Ausgrenzendes, heute aber etwas Verbindendes, indem wir gegenseitig das, was den jeweils anderen ausmacht, nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung erleben.

Ich wünsche Ihnen/uns allen, dass wir immer die Kraft haben, uns auch für andere christliche Konfessionen und Lebensformen zu öffnen und damit ein gemeinsames Zeugnis der Einheit und nicht der Zerrissenheit ablegen.

Martin Liebschwager ist Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde in Harsewinkel.