Andacht vom 14. August 2016

Andacht zum 12. Sonntag nach Trinitatis, 14. August 2016

Alle, die in diesen Wochen Urlaub haben, freuen sich auf eine entspannte und erholsame Zeit, Wochen ohne Stress, ohne Druck, ohne enges Zeitfenster, ohne Pflichttermine. Eine Zeit, in der die Worte „ich muss“ Pause machen. Doch sobald die Ferienzeit vorüber ist, sind sie wieder da: „ich muss dieses – ich muss jenes“, manchmal 20 Dinge auf einmal, so kommt es mir häufig vor. „Muss“ das eigentlich sein, frage ich mich? Eine kleine Anekdote geht diesem Phänomen nach:

„Mach blau“, sagt eines Morgens Gott. „Tut mir Leid, das geht nicht“, antwortest du. „Ich muss den Boden wischen, die Wäsche waschen. Ich muss die Akten fertig machen, das Mittagessen kochen, die Kinder zum Reiten bringen, Sybille anrufen. Ich muss abnehmen, einkaufen, meine Beziehung überdenken, die Geburtstagseinladungen verschicken, arbeiten, telefonieren, meine E-Mails checken, mich kümmern. Ich muss noch so viel tun.“

Gott erbleicht. „Hatte ich dich nicht aus der Sklaverei befreit?“ Forschend fragt er: „Wer befiehlt dir?“ Du beginnst zu Stottern. „Niemand, jedenfalls nicht so direkt. Was du dir denkst. So ist es halt… das Leben…“

Erstaunt schaut Gott dich an. „ Aber das Land, in dem Milch und Honig fließen, das hatte ich doch versprochen!“ „Hier fließt nichts, wenn ich nicht selber dafür sorge“, antwortest du resigniert. „Was ich nicht tue, tut auch kein anderer.“

„Hör zu“, sagt Gott und erhebt seine Stimme. „ Ich bin der Allerhöchste. Ich gebe dir frei. Nimm dir eine Hängematte. Pflück Blumen, geh schlafen, trink Erdbeerbrause, guck in die Wolken. Tu, was du willst.“

„Und die Wäsche?“, rufst du, aber Gott ist entschwunden. Du fängst an, die Socken zu sortieren und grummelst vor dich hin. Als ob das so einfach wäre. Die Dinge tun sich schließlich nicht von allein. Als ob man bei jeder Sache fragen kann, ob man sie tun will.
Aber die Begegnung nagt an dir. Du musst zugeben, dass du das Wörtchen „muss“ verdächtig oft benutzt. Wieso musst du Sybille anrufen? Das willst du doch. Oder? Das Mittagessen dagegen willst du nicht jeden Tag kochen. Was würde eigentlich passieren, wenn du es mal nicht tätest? „Muss“, denkst du plötzlich ist ein Wichtigtuer. Wer tausend Dinge muss, ist unentbehrlich. „Muss“ ist ein Schutzschild. Wer alles erledigen muss, hat keine Zeit zum Nachdenken. „Muss“ ist eine Universalentschuldigung. Wer seinen Pflichten nachkommen muss, braucht nicht für seine Wünsche zu kämpfen. Dir fällt dein Großvater ein. „Tu, was du willst. Wolle, was du tust“, war sein Wahlspruch.

Nachdenklich legst du eine Socke zur Seite und lässt dich in den Sessel fallen. Und wenn du versuchsweise ein paar „Muss“ durch ein paar „Will“ ersetztest? Du versuchst es, und es klingt tatsächlich anders. Weniger eng, ein paar Kilos leichter und vor allem: selbstbestimmt. Nicht, dass du auf einmal aus tiefstem Herzen Wäsche falten willst. Aber du willst sie auch nicht rumliegen sehen, also tust du es. Die nächsten Tage bist du aufmerksamer. Du achtest darauf, was du willst. Manchmal nimmst du dir frei. Weil „will“ nicht stimmt und „muss“ Unsinn ist. Dann findet das Mittagessen in der Hängematte statt. Dazu gibt es Erdbeerbrause für alle.

Ein Plädoyer für regelmäßige und auch manchmal ganz unkonventionelle Auszeiten. Vielleicht gelingt es uns, sie ein wenig zu beherzigen, wenn der „Muss-Druck“ uns wieder einmal überrennt.

von Claudia Bergfeld, Pfarrerin am Berufskolleg Halle