„Geschützt im Alter“ – deshalb: „Besuch verboten“. Neulich stand ich als Pastorin vor der Tür einer Wohngruppe für alte Menschen hier in Steinhagen. Am nächsten Tag wurde ein Bewohner 93 Jahre alt. Eine freundliche Pflegekraft kam an die Tür – wir beide hielten Abstand – beide mit Mundschutz. Wir erkannten uns, weil ich „früher“ öfter zu Gottesdienst oder zum Geburtstagsbesuch ins Haus kam. Und sie erklärte fast entschuldigend: „Sie dürfen aber nicht rein!“
Ich versicherte ihr, dass ich auch nur die Geburtstagspostkarte für den morgigen Geburtstag abgeben wollte und fragte, ob sie diese ihm weitergeben und vorlesen könnte. Bestimmt hat diese freundliche Altenpflegerin es auch getan.
Aber bei mir blieb der Gedanke: Keine Seelsorge möglich – außer schriftlich – per Karte. Ich wusste: Der vor 93 Jahren geborene war vor seiner Pflegebedürftigkeit ein regelmäßiger Besucher im Gottesdienst der Dorfkirche. Ein Gebet – vielleicht ein Segenswort – eine kurze Berührung mit dem Kreuzzeichen – er hätte sich gefreut.
„Wir schützen, was wir lieben.“ Irgendwoher kommt mir dieser Werbeslogan in den Sinn. Und ich spreche mit den Familienangehörigen, die nicht mehr ihre Eltern, ihre Ehepartner, ihre Onkel und Tanten besuchen gehen dürfen im Pflegeheim, einfach weil es zu viel Gefahr und Ansteckungsrisiko mit sich bringt.
Geradezu zynisch veröffentlich der Tübinger Bürgermeister Boris Palmer am 28. April: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären – aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen.“ Gemeint ist die Tatsache, dass meisten Verstorbenen mit Covid -19 ein hohes Lebensalter aufweisen (über 80 Jahre) oder durch Vorerkrankungen ohnehin nur noch eine geringe Lebenserwartung gehabt hätten. Im Hintergrund einer solchen Äußerung stehen die sozialdarwinistischen Gedanken vom Überleben der Starken und die Selektion der Schwachen.
Christus dreht das Verhältnis von Starken und Schwachen um: „Lass Dir an meiner Gnade genügen. Denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ (2.Kor 12,9) Dieses Wort Christi sei allen gesagt – heute – Morgen – bis in Ewigkeit.
Von Kirsten Schumann, Gemeindepfarrerin der Kirchengemeinde Steinhagen