Andacht vom 16. Juni 2013

16. Juni 2013 - 3. Sonntag nach Trinitatis

Wie viel Vertrauen braucht der Mensch?

Ich steige in ein Flugzeug im Vertrauen, dass ich sicher an mein Ziel komme. Ich gehe zum Arzt im Vertrauen, dass er die richtige Diagnose stellt. Ich esse im Restaurant im Vertrauen, dass die Küche den hygienischen Vorschriften entspricht. Ich vertraue der Liebe meiner Frau und der Ehrlichkeit meiner Freunde. Dafür und für manches andere im Leben brauche ich eine Menge Vertrauen.

Der Wiener Schauspieler Johann Nestroy sagte vor 150 Jahren:„Zu viel Vertrauen ist häufig eine Dummheit, zu viel Misstrauen ist immer ein Unglück.“ Und er spricht damit die Einstellung an, mit der ich Menschen und Ereignissen begegne.

„Zuviel Vertrauen ist häufig eine Dummheit.“

Wenn es eines Beweises dafür bedarf, dann ist es die Erinnerung von Sebastian Haffner in seinem Buch „Geschichte eines Deutschen“.  Da erzählt er von einer ausgelassenen Studentenfeier in der Silvesternacht 1932/33, wenige Monate vor der Machtergreifung Hitlers. Die meisten waren sich schon bewusst, welch gefährliche Ideen und zynische Gedanken mit Hitler in die Politik einziehen würden. „Aber“, so schreibt Haffner, „wir sahen mit heiterem Vertrauen dem neuen Jahr entgegen, es würde schon alles gut gehen!“ Die Folgen eines solch „heiteren Vertrauens“ lehren uns heute, mit mehr Vorsicht, ja mehr Misstrauen zu agieren – und das in allen Bereichen unseres Lebens.

Versprechen von Politikern entlarven sich selbst allzu schnell. Parteien reden in ihren Selbstanalysen gerne von „verspieltem Vertrauen“ oder der Notwendigkeit, „vertrauensbildende Maßnahmen“ zu ergreifen. Unsere Erfahrung mahnt zur Vorsicht: Zu oft schon erwies sich ein akademischer Doktortitel als unlauter erworben, legten Banken ihre Kunden herein, wurde die Wirtschaftslage mal schön-, mal schlechtgeredet, erwiesen sich Biedermänner als Sexisten und entpuppte sich eine angebliche Enthüllung als reine Sensationsberichterstattung. „Zu viel Vertrauen ist häufig eine Dummheit.“

Besonders schlimm ist es, wenn auch Schule und Kirche in diese Vertrauenskrise hineingezogen werden, wenn Geistliche oder Lehrer Kinder missbrauchen und so das Vertrauen der Eltern vernichten und Kinderseelen zerbrechen. Denn Kinder vertrauen noch ganz unbedarft darauf, dass sie beschützt, ernährt, gekleidet, geliebt werden. In diesem geschützten Raum bauen sie ihr Leben auf und lernen, sich selbst zu trauen und anderen. Sie lernen Vertrauen ins Leben. - Ist das naiv? Ist das dumm?

„Zu viel Vertrauen ist häufig eine Dummheit, zu viel Misstrauen ist immer ein Unglück.“
Doch allen und allem nur voller Misstrauen zu begegnen, das kann kein glückliches Leben sein. Wir brauchen Vertrauen ins Leben! – Trotz aller gegenteiligen Erfahrungen. Wir können nicht zusammenleben, ohne dass wir uns gegenseitig Vertrauen schenken. Und da kommt für mich der christliche Glaube ins Spiel.

Da sagt einer (vgl. Matthäus 5,3-10): Selig die Armen – und nicht: Reichtum macht glücklich. Trost denen, die Leid tragen – und nicht: Selbst schuld, was geht’s mich an. Glücklich, die Gerechtigkeit wirken – und nicht: Der Stärkere hat Recht. Mutig die Barmherzigen – und nicht: Jeder ist sich selbst der Nächste.

Und er sagt weiter: Werft euer Vertrauen nicht weg, Vertrauen lohnt sich. Zweifelt nicht, dass der Weg richtig ist, auch wenn das Ziel noch unsichtbar in weiter Ferne liegt. (vgl. Hebr. 10,35+11,1)
Ihr seid das Salz der Erde - nicht: Auf euch kommt es nicht an
Ihr seid das Licht der Welt - nicht: Lebt, als gingen morgen die Lichter aus. (vgl. Matthäus 5, 13+14)

Solchen Jesusworten vertrauen und darin leben, macht vertrauenswürdig. So viel Vertrauen braucht der Mensch!

Lothar Becker lebt als Pfarrer im Ruhestand in Halle.