Wort zum Sonntag Kantate, den 02. Mai 2021
Manchmal sehe ich sie. Manchmal höre ich sie sogar. Im Supermarkt zwischen den Regalen, die nur wenige anlocken. Im Büro, wenn die Belegschaft fast komplett ins Homeoffice ausgeflogen ist. Auf der Straße, überwiegend hinter Windschutzscheiben. Und im Kinderzimmer, genau in dem Moment, da ein kleiner Mensch ganz in sein Spiel versinkt. Da sehe ich sie, da höre ich sie ab und zu auch: die Summer und Brummer, die Pfeifenden und die Sängerinnen – und freue mich.
Gottlob, wir Menschen nutzen unsere Stimmen nicht bloß zum Plappern und Schreien, sondern auch um Musik zu machen. Alte Männer, wenn sie für sich sind, pfeifen oft leise und beinahe tonlos. Leute mittleren Alters summen oder singen lauthals, wenn niemand dabei ist, der rummäkeln kann. Und Kinder blenden alles um sich herum aus und trällern das halbe Radioprogramm nach. Covid-19 mag dem Kulturleben schaden, unser Summen und Singen aber sind immun.
Hurra! Wo Melodien in der Luft liegen, da ist Freude. Und umgekehrt: Wo Menschen sich freuen, summen oder singen sie bald auch. Und das hat Folgen: Rasch regt sich auch bei denen, die das hören, die Lust auf Musik. Eine besondere Kraft liegt im Singen. Martin Luther sang deswegen von Herzen gern. Und ein Prophet, der diese Kraft ebenfalls kannte, wagte sogar den Satz (nicht zufällig in einem Lied): Gott der Herr ist meine Stärke und mein Lied (Jesaja 12,2).
Am Sonntag Kantate hören wir genau davon: Gott macht uns wieder und wieder froh. So wie ein Lied mich froh macht, das ich mitsumme, kaum dass ich’s höre. Und diese Freude macht uns Menschen stark – was liegt da näher, als Gott zu danken, indem wir singen? (Irgendein passendes Lied findet sich immer.) Das Wunderbare ist: Wenn ich mich traue, bloß ein wenig auf diese Weise zu summen oder gar zu singen, wächst diese Freude sogar. In meinem Herzen und nicht selten auch in denen der anderen.
Kantate bedeutet: „Singt!“ Spätestens 2021 darf man auch übersetzen: „Summt! Brummt! Pfeift und trällert!“ Gott sei Dank! Viel Freude!
André Heinrich ist Pfarrer in der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Steinhagen