Andacht vom 20. Januar 2013

20. Januar 2013 - 2. Sonntag nach Epiphanias

„Wenn ich heirate, dann möchte ich das volle Programm. Mit Kirche und Brautführern und ganz in weiß. Und mit Schleier. Und mein Vater soll mich zum Altar führen.“ Die Braut ist 40 Jahre alt. Sie hat drei Kinder, davon eines aus einer früheren Beziehung. Mit ihrem Verlobten ist sie seit acht Jahren zusammen. Jetzt haben sie sich zum Heiraten entschlossen.

Ihrer Mutter stehen bei diesen Wünschen die Haare zu Berge. „In Weiß, und dann auch noch mit Schleier – das ist doch ein Symbol. Und besonders unschuldig bist Du mit Deinen 40 Jahren nun wirklich nicht mehr.“
Die 40-jährige Braut sieht die Sache ganz anders. Natürlich weiß sie, dass sie nicht mehr unberührt ist. Ihr eigenes Leben sieht sie sogar sehr kritisch: Früher hätte sie immer nur Spaß haben wollen. Das erste Kind sei „ein Unfall“ gewesen. Die Beziehung schon zu Ende, bevor der Junge überhaupt auf der Welt war. Auch mit ihrem jetzigen Partner sei es nicht immer leicht gewesen.

Nun hat sie die große Sehnsucht, dass ihre Partnerschaft hält. Endlich soll alles heil werden. Mittlerweile fühle sie sich reif genug, um Verantwortung für andere zu übernehmen. Dazu hat die Erfahrung beigetragen, dass sie es immer wieder geschafft hat. Die Heirat in weiß ist in ihren Augen ein Symbol dafür, dass die Dinge nun in Ordnung kommen. Dass ihr Leben nun in einem Maße intakt ist, wie es das früher nie war. Diese Unschuld hat sie sich sozusagen erst erarbeitet. Keine Show, kein Heile-Welt-Kitsch. Sondern eine Mischung aus Sehnsucht und nüchterner Selbsterkenntnis.

So gesehen wird der weiße Schleier zu einem gut evangelischen Symbol. Denn unsere Symbole stehen nie für eine heile Welt. Am besten sieht man das am Kreuz. Es erinnert mich daran, dass Vieles in meinem Leben gestört ist. Dass ich immer wieder schuldig werde und auf Gottes Geduld angewiesen bin. Es steht für meine Sehnsucht, dass mein Leben trotzdem gelingen kann. Dass ich fröhlich und dankbar sein darf, weil Gott trotz allem zu mir steht. Dafür stehen die christlichen Symbole. Warum nicht auch ein weißer Schleier?

von Dr.Sven Keppler, Pfarrer in Versmold