Andacht vom 17. November 2019

Wort zum vorletzten Sonntag im Kirchenjahr, 17. November 2019

Der November ruft uns zu den Gräbern und zu den Gedenksteinen. Am Ewigkeitssonntag und zu Allerheiligen denken wir an die, die verstorben sind. Am Volkstrauertag und am 9. November erinnern wir uns an die Opfer der Kriege und an die Opfer der Gewaltherrschaft in Deutschland. Zu den Gräbern führt uns die Trauer. Zu den Gedenksteinen unsere Trauer und Scham.

Genau diese Scham können einige heute nicht mehr ertragen. Sie schieben sie beiseite, indem sie sagen: „Die beiden Weltkriege und die Terrorherrschaft der Nationalsozialisten waren lange vor meiner Zeit, mich trifft keine Schuld an alldem.“ Es stimmt zwar: Im Jahr 2019 leben nur noch wenige, die damals schuldig geworden sind. Doch Scham können und sollten wir auch empfinden, wenn es um die Schuld solcher Menschen geht, mit denen uns etwas verbindet.
Das krasseste Missverständnis allerdings lautet: „In den Gedenkveranstaltungen werden unsere Vorfahren schlechtgemacht.“ – Nein! Um es klar zu sagen: Das November-Gedenken in unse-rem Land will nicht schlechtmachen – es will gutmachen. Wir denken an die Opfer der Kriege und der Gewalt, nicht um Menschen schlechtzumachen. Vielmehr (sofern das noch irgend geht) um zumindest ein wenig wieder gutzumachen. Ebenso: Um es selbst heute besser zu machen. Und dazu gehört, Schuld zu benennen, Scham zuzulassen und Verantwortung zu tragen.
Zugegeben: Es fällt niemandem leicht, Schuld einzugestehen oder auch Scham zuzulassen. Nur: Wer das nicht wenigstens versucht, schadet nicht zuletzt sich selbst. Der Beter des 32. Psalms bringt diese Erfahrung auf den Punkt: Denn da ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Klagen. Wir wissen nicht, an was konkret der Beter dabei dachte. Doch so viel wird in den weiteren Versen des Psalms klar: Er findet schließlich tiefen Frieden. Und zwar, als er sich zu seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen bekannt hat. Solchen Frieden verspricht uns Gott – am 9. November wie am Volkstrauertag und am Buß- und Bettag.

Dr. André Heinrich ist Pfarrer in der Ev. Kirchengemeinde Brockhagen.