Andacht vom 21. August 2011

21. August 2011 - 9. Sonntag nach Trinitatis

Gerade bin ich von einer Freizeit mit Gehörlosen des Kirchenkreises Halle zurück gekommen. Wir haben ein paar Tage auf der Insel Baltrum in der Villa Sonnenwinkel verbracht. Auf so eine Fahrt dolmetsche ich öfter für die Gehörlosen: Ich vermittle Lautsprecherdurchsagen am Bahnsteig, die Begrüßung und Anweisungen des Schiffskapitäns gebe ich weiter. Wir machen eine Wattwanderung, und ich übersetze die Erklärungen der Wattführerin in die Gebärdensprache.

Nach dem Besuch einer Abendandacht in der alten, sehr kleinen Inselkirche bedankte sich eine Teilnehmerin bei mir für das Dolmetschen, denn der Gottesdienst hatte sie sehr angesprochen. Ich war überrascht, und mein erster Gedanke war: Ich habe doch nur so gut es mir ohne Dolmetschausbildung möglich war, weitergegeben, was die Pfarrerin gesagt und gepredigt hatte. Die guten und für die Frau hilfreichen Gedanken kamen von ihr. Sie waren durch mich gewissermaßen hindurchgegangen und wahrscheinlich auch etwas verändert worden: Wenn ich eine Gebärde für ein Wort nicht weiß, muss ich schnell versuchen, es anders auszudrücken. Wenn ich vielleicht einen Satz nicht mitbekomme, fällt er leider weg. Und trotzdem war es offenbar gelungen: Durch mein Dolmetschen hatten die Gedanken diese Frau erreicht.

Durch dieses Erlebnis wurde mir erneut deutlich: Alle sind Dolmetscher des Evangeliums, nicht nur wir Pfarrer und Pfarrerinnen in den Gottesdiensten und den Gemeindeveranstaltungen. Nein, wir alle geben weiter, was wir empfangen haben: von unseren Eltern oder Großeltern, von Religionslehrern und Pfarrern, aus den Medien oder dem Gesangbuch und nicht zuletzt natürlich aus der Bibel selbst. Wir geben weiter, was wir verstanden haben, und was uns wichtig geworden ist. Es geht gewissermaßen durch uns hindurch, und wir geben es so gut weiter wie es uns möglich ist. Und manchmal gelingt es, dass es durch uns einen anderen Menschen erreicht, durch unsere Worte und Taten.

Heike Kerwin, Pfarrerin im Entsendungsdienst, ist im Evangelischen Kirchenkreis Halle  für die Gehörlosenseelsorge zuständig.