Haben wir denn sonst keine Probleme?!
Es wird diskutiert über das Verbot von Plastikstrohhalmen. Es wird diskutiert über Ausdrücke, ob sie diskriminierend sind. Es wird diskutiert, ob ein spontaner Kuss auf den Mund übergriffiges Verhalten ist.
Manch hitzige Diskussion entbrannt darum. Und irgendwann kommt es – das Totschlagargument: „Haben wir denn sonst keine Probleme?“ Damit ist die Diskussion totgeschlagen. Wer will schon auf „Kleinigkeiten“ herumreiten, wo wir doch wirklich drängendere und größere Probleme in der Welt haben.
„Haben wir denn sonst keine Probleme?“ Doch – haben wir. Wir haben ernsthafte Probleme: unumkehrbare Zerstörung in Fauna und Flora, unvorstellbares Leid in den Kriegen dieser Welt, weitreichende organisierte sexuelle Gewalt und Ausbeutung. Aber ist das allen Ernstes ein Argument, uns mit anderen – demgegenüber klein erscheinenden – Problemen nicht auseinanderzusetzen?
Ich halte das für fatal. Denn ich sehe da einen Zusammenhang: wenn ich in meinem kleinen überschaubaren Umfeld nicht bereit bin, der Umwelt zuliebe auf „Kleinigkeiten“ zu verzichten, dann werde ich das bei den großen Dingen, die zum Erhalt der Erde absolut notwendig sind, erst recht nicht sein. Wenn ich nicht einmal bereit bin, mich sprachlich respektvoll zu verhalten, werde ich es durch mein Handeln sein? Wenn ich nicht einmal im Kleinen bereit bin, die Grenzen anderer zu respektieren, wird mir das im Großen erst recht nicht gelingen.
Wir können nicht einfach das, was bei uns schiefläuft, nach Umfang sortieren und bei den vermeintlich großen Problemen beginnen. Wenn ich wirklich etwas ändern will, wenn ich zum Erhalt unserer Umwelt und der uns wichtig gewordenen Werte beitragen will, dann muss ich da anfangen, wo ich konsumiere, wo ich rede und handle, wo ich lebe – auch wenn es auf den ersten Blick recht unbedeutend erscheint.
„Haben wir denn sonst keine Probleme?“ Doch – und genau deswegen fange ich jetzt an, Lösungen zu suchen.
Susanne Absolon, Pfarrerin in Versmold