Andacht vom 05. Januar 2020

Wort zum zweiten Sonntag nach Weihnachten, 05. Januar 2020

Eine junge Frau verlor die Kontrolle über ihr Auto und knallte gegen einen Baum. Der Aufprall war in einem nahegelegenen Haus deutlich zu hören.

Der Student im Erdgeschoss lief ans Fenster. Er war erstaunt, wie demoliert das Auto aussah. Er holte sein Handy und machte ein paar Fotos, um sie bei Facebook zu posten. Eine Mutter im ersten Stock war mit ihren drei Kindern allein zu Hause. Zwei Kinder sprangen auf und rannten zum Fenster: „Mama, guck schnell! Da ist ein Unfall passiert.“ Aber die Mutter antwortete: „Setzt euch hin, Kinder! Es ist nicht gut, sich mit so etwas zu belasten. Wir können nur hoffen, dass Papa nicht mal so ein Unfall passiert.“

Ein junges Paar in der Nachbarwohnung saß gerade am Mittagstisch. Der Mann ging zum Fenster und sagte: „Das ist eine ganz normale Kurve. Wann lernen die Leute endlich, ordentlich zu fahren?“ Die Frau fragte: „Können wir irgendwie helfen?“ Aber ihr Mann sagte: „Das ist nicht unsere Aufgabe. Dafür gibt es Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen.“ Und er setzte sich wieder hin.

Die ältere Dame unterm Dach griff zum Telefon. Doch dann legte sie schnell wieder auf. Sie dachte sich: „Es heißt ja immer, dass ich nur am Fenster sitze und gaffe. Wenn ich jetzt diejenige bin, die anruft, wird das Gerücht ja nur bestätigt.“

Eine halbe Stunde später starb die junge Frau, weil keine Hilfe gekommen war.

In dem bekannten Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas 10, 25-37) erzählt Jesus eine ganz ähnliche Geschichte und fordert uns auf, unsere Komfortzone zu verlassen und Verantwortung für Menschen zu übernehmen, die unsere Hilfe brauchen. Und tatsächlich geschieht das mehr und mehr in meinem Umfeld. Eine Dame in unserer Gemeinde ging in den Ruhestand und sagte: „Ich werde meine gewonnene Zeit nutzen, um für andere da zu sein.“ Und sie hält Wort. Jede Woche engagiert sie sich für Menschen am Rande unserer Gesellschaft.

So erlebe ich viele, die sich um die Not anderer kümmern. Ich sehe Menschen, die es berührt, wenn es anderen schlecht geht und die einen kleinen oder größeren Beitrag leisten, um anderen zu helfen. Ich erlebe Menschen, die sagen: „Ich bin zuständig.“ Wenn wir so leben, können wir das Gesicht der Welt verändern.

von Bernd Eimterbäumer, Pfarrer in der evangelischen Kirchengemeinde Halle