Wort zum Sonntag Rogate, 06. Mai 2018
Beten – das gottesdienstliche Thema des fünften Sonntags nach Ostern (Rogate) – erscheint dem säkularen Menschen gern buchstäblich als Kinderspiel. Unwillkürlich erinnert er sich an die Gebete, die er in seiner Herkunftsfamilie vielleicht noch selbst zu den Mahlzeiten oder vor dem Zubettgehen jahrelang (mit)gesprochen hat. Sie waren in der Regel kurz und eingängig, weil gereimt, dazu oft ebenso schlichten wie fragwürdigen Inhalts („Lieber Gott, mach mich fromm …“). Irgendwann fühlte er sich darüber hinausgewachsen und ließ von derlei, jetzt als albern bis sinnlos empfundenen, Pflichtübungen ab.
Dasselbe Schicksal mag wenig später auch dem Vaterunser, dem Hauptgebet der Christenheit, widerfahren sein – trotz Konfirmanden- bzw. Firmunterricht, der sich (hoffentlich) um die Anbahnung eines „erwachseneren“ Betens bemüht hat. Nun ist
er gegenüber Gott sprachlos geworden, der säkulare Mensch, unfähig zu Gespräch und Gemeinschaft (= Kommunikation) mit ihm.
Dass das Beten, jedenfalls im christlichen Sinne, alles andere als ein Kinderspiel ist, zeigt schon die an Jesus gerichtete Bitte seiner Jünger: „Herr, lehre uns beten!“ (Lukas 11,1) Sie haben offensichtlich ein Gespür dafür, dass die Herstellung einer lebendigen Gottesbeziehung nicht einfach in der Macht von uns Menschen steht. Dies erfährt ja auch leidvoll, wessen inständiges Gebet unerhört zu verhallen scheint – eine große Not schon im Alten Testament. Wie kann das sein?
Vielleicht lässt sich vom Neuen Testament her sagen: Eigentlich redet gar nicht der Mensch und Gott schweigt, sondern umgekehrt wird ein Schuh daraus. Denn Gott hat ja längst gesprochen: „Mensch, wo bist du?“ (Genesis 3,9) und ist uns in Christus, dem „fleischgewordenen“ Wort Gottes (Johannes 1,14), zur ständigen Anrede geworden. Dieses sein Wort will von uns gehört – erhört – werden und Antwort erhalten.
Das Zwiegespräch mit Gott ist also immer schon von ihm her eröffnet, so dass wir die Antwortenden sind. Wenn wir stumm bleiben, gerät es zwar ins Stocken, aber es reißt nicht ab. Nicht weniger behält es seine große Verheißung, wo wir den Eindruck haben, Gott verstopfe seine Ohren oder der Himmel sei überhaupt leer.
„So müssen wir also beten lernen. Das Kind lernt sprechen, weil der Vater zu ihm spricht. Es lernt die Sprache des Vaters. So lernen wir zu Gott sprechen, weil Gott zu uns gesprochen hat und spricht. An der Sprache des Vaters im Himmel lernen seine Kinder mit ihm reden. Gottes eigene Worte nachsprechend, fangen wir an, zu ihm zu beten. Nicht in der falschen und verworrenen Sprache unseres Herzens, sondern in der klaren und reinen Sprache, die Gott in Jesus Christus zu uns gesprochen hat, sollen wir zu Gott reden und will er uns hören.“ (Dietrich Bonhoeffer)
Hartmut Splitter ist Pfarrer in der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Werther