Andacht vom 28. September 2014

24. August 2014 - 15. Sonntag nach Trinitatis

28. September 2014, 15. Sonntag nach Trinitatis

Lass uns gehen

Ich stecke mitten im Wald. Kurz vor Ahrensbök, im Holsteiner Niemandsland. Seit acht Stunden bin ich unterwegs. Und seit zwei Stunden regnet es Bindfäden. Die 12 Kilo meines Rucksacks zerren an den Schultern. Und langsam frage ich mich, ob ich eigentlich noch auf dem richtigen Weg bin. Für heute möchte ich nur noch ankommen. Als ich endlich am Ziel bin, höre ich Revolverheld im Radio: Lass uns hier raus. Hinter Hamburg, Berlin oder Köln hört der Regen auf Straßen zu füllen. Hören wir endlich mal wieder das Meer und die Wellen. Lass uns gehen, lass uns gehen, lass uns gehen.

So ungefähr hatte ich mir das auch vorgestellt. Fünf Tage lang alles hinter mir lassen. Auf dem Jakobsweg von Kiel nach Ratzeburg. Endlich Abstand kriegen – von Aufgaben, Zeitdruck und Pflichten. Stattdessen mal wieder richtig Zeit zum Nachdenken haben. Auf dem Weg gab es alles, was Wetter und Landschaft zu bieten haben. Wolkenlos strahlenden Himmel und Dauerregen. Seen und Äcker, Feldwege und Bundesstraßen. Herrliche Ausblicke auf die Türme von Lübeck. Beine und Schultern wurden jeden Tag besser. Und auch die Blasen unter den Füßen wuchsen. Nur das Nachdenken fiel ersatzlos ins Wasser.

Irgendwann wurde mir klar: Es reicht nicht, nur die Stadt und die Arbeit hinter mir zu lassen. Es geht nicht nur um die äußeren Dinge, die mich fordern und auffressen. Sondern das, was mich belastet, steckt in mir selber drin. Und ich werde nicht frei davon, wenn ich beim Wandern mal so richtig nachdenke. Sondern nur, wenn ich das Grübeln vollständig sein lasse.

Hinter Hamburg Ahrensbök hab auch ich aufgehört, Fragen zu stellen. Ich war einfach nur mit dem Gehen beschäftigt. Damit, den richtigen Weg zu finden. Die Landschaft zu sehen. Die Tiere. Ganz im Moment zu sein. Zu spüren, wie sich mein Körper anfühlt. Es ist wie beim Meditieren: Da geht es auch nicht darum, tolle Gedanken zu haben. Sondern mich Gott hinzuhalten, so wie ich bin. Die Gedanken können dann immer noch kommen. Irgendwann später.

von Sven Keppler, Pfarrer in Versmold