Andacht vom 08. April 2018

Wort zum Sonntag Quasimodogeniti, 08. April 2018

NymphenEin junger Mann kniet am Rand eines Seerosenteiches. Sein muskulöser Oberkörper ist halb entblößt. Er wollte Wasser schöpfen. Aber der Tonkrug liegt vergessen in seiner linken Hand. Der Mann ist wie hypnotisiert. Vor ihm sind sieben junge Frauen aus dem Wasser aufgetaucht. Schlanke, blasse Gestalten mit langen Haaren. Ihre nackten Körper sind nur leicht durch Seerosenblätter bedeckt. Mit ihren Blicken haben die Wassernymphen den Mann schon gefangen. Die Vorderste greift nun auch seinen rechten Arm. Eine andere fasst nach seinem Gewand.„Hylas und die Nymphen“ heißt dieses Bild aus der griechischen Mythologie. Gemalt hat es der englische Künstler John William Waterhouse vor 122 Jahren. Es zeigt den Moment, bevor der verführte Mann ins Wasser geht und ertrinkt.Zu sehen ist das Bild in einem Museum in Manchester. Aber das ist nicht mehr selbstverständlich. Eine Woche lang war es abgehängt. „Um eine Diskussion über Frauendarstellungen in der Kunst anzuregen“, wie die Kuratorin des Museums sagte. Sie störte sich daran, dass der weibliche Körper entweder als ‚passiv-dekorativ‘ dargestellt werde oder als ‚femme fatale‘, die die Männer um den Verstand bringt. Die folgende Diskussion war leidenschaftlich. Und viele haben das Abhängen des Bildes als geschickt getarnten Versuch der Zensur verstanden.Das wäre ein Alarmsignal! Wohin bewegt sich unsere westliche, aufgeklärte Kultur? Bedarf es tatsächlich einer Rechtfertigung, um ein so harmloses Bild wie „Hylas und die Nymphen“ zu zeigen? Für mich zeigt diese Diskussion, wie verunsichert unsere Gesellschaft mittlerweile ist.Das ist einerseits eine Folge der MeToo-Debatte. Endlich ist durch sie öffentlich geworden, in welchem Maß Männer ihre berufliche Macht über Frauen missbrauchen. Andererseits wird der spießige rechte Populismus immer lauter, der die Rückkehr der züchtigen Hausfrau an den Herd fordert. Dazu kommt die Begegnung mit anderen Kulturen, die wegen ihres vormodernen Frauenbildes jeglichen weiblichen Reiz verschleiern wollen. Und nicht zuletzt verunsichert die hemmungslose Veröffentlichung jedes Schnappschusses in den sozialen Netzwerken: In Freibädern und an Badeseen wagt kaum noch jemand, die Badekleidung abzulegen.In dieser Verunsicherung darf nie vergessen werden, wie unaufgebbar die Freiheit der Kunst ist. Eine Geschichte aus der Bibel macht das deutlich: König David hatte einen Mann in den Soldatentod geschickt, um dessen Frau heiraten zu können. Der Prophet Nathan erzählt dem König daraufhin ein kunstvolles Gleichnis von einem Reichen mit vielen Schafen. Der nimmt einem Armen dann auch noch das einzige Schaf, das er hat. König David ist empört und fordert, den Reichen zu bestrafen. Da antwortet Nathan: „Du bist der Mann.“ Durch die Kunst hat er dem König den Spiegel vorgehalten. Darf man dieses uralte Gleichnis nicht mehr erzählen, weil in ihm ein Schaf für eine Frau steht? Das wäre so absurd wie die Abhängung von „Hylas und den Nymphen“.  Die Kunst muss frei sein, gerade um Unangenehmes zu enthüllen. Wer provokative Kunst entfernen will, scheut nur den Blick in den Spiegel.

Dr. Sven Keppler ist Pfarrer in der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Versmold