Andacht zum 30. Oktober 2022

Reformation – wen juckt´s!? – Denkt die eine oder der andere. Am 31.10. ist Reformationstag und dieses Ereignis jährt sich zum 505. Mal, seitdem Martin Luther seine 95 Thesen an der Schlosskirchentür zu Wittenberg angebracht hat und damit die neu gewonnene Freiheit im Glauben demonstriert.

Reformation, da steckt das Wort Reform drin und zielt auf Erneuerung, Veränderung, Neugestaltung. Für uns stellt sich die Frage: Wie kann ich heute Erneuerungen bewirken, wo doch alles schon über 500 Jahre her ist!? Wie kann ich heute Veränderungen erleben, wo wir politisch und gesellschaftlich von einer Krise in die nächste schliddern und eher das Gefühl vermittelt bekommen, dass wir uns zurückentwickeln? – Bankencrash, Staatspleiten in der EU, Corona, die schlimmen Kriege, nicht zuletzt der in der Ukraine - mit gravierenden persönlichen, sozialen, gesellschaftlichen und energie-/wirt-schaftlichen Folgen. Da frage ich mich doch ernsthaft: Wie und wo erlebe ich, dass „ich doch frei bin“ in meinen Entscheidungen und Planungen? Wie erlebe und erfahre ich, dass mich Glaube frei machen kann?

Wenn wir in unsere Welt schauen, bekommen wir mit, wie sehr die Frauen im Iran sich unter Einsatz ihres Lebens um ihre Freiheit bemühen, wie sie für ein freiheitliches, selbstbestimmtes Leben demonstrieren, in dem ihnen das Recht auf Bildung und ein eigenständiges Leben – mit oder ohne Kopftuch -zugestanden wird, ohne dass es aus Sicht der Herrschenden richtig oder falsch getragen werden kann. Jede Frau dort will für sich sagen können: Ich bin doch frei!

Wir leben im Zeitalter der Digitalisierung, in der Social-Media-Kanäle, Influencer*innen uns und unser Menschsein unter Kontrolle halten wollen, Algorithmen nachvollziehen wollen, was und wo wir einkaufen, wieviel wir dafür bezahlen, wie lange unsere wöchentliche Bildschirmzeit war, wie wir auszusehen haben, was wir anziehen, wie unser Essverhalten gesteuert wird, wie wir denken und reden…Was heißt es für uns, angesichts dieser Einflüsse, frei zu sein? –

Da tut es gut, zu wissen, dass ich aus Gottes Gnade und Liebe leben darf, dass ich so, wie ich bin, sehr gut bin und mich nicht erst neu erfinden oder machen muss, dass ich konstruktiv auf meine Gaben schaue und nicht immer destruktiv und selbstzerstörerisch auf das, was ich nicht so gut an mir finde und ständig das Gefühl vermittelt bekomme, mich optimieren zu müssen – durch Schönheitsoperationen, Schminktipps, Fast Fashion. Denken wir an Harald Glööckler, Kim Kardashian, Michael Jackson – sind sie vielleicht bereits zu Opfern ihres eigenen Selbstoptimierungsantriebs geworden!? - Die christliche Freiheit erinnert daran, dass Gott auch am Ende der Erschaffung des Menschen sagt: Siehe, es ist sehr gut! Siehe, du bist sehr gut! Hey, du bist doch frei!

Ob Martin Luther, Katharina von Bora, Elisabeth von Braunschweig, Malala, die iranischen Frauen, Nadia Murad, Mahatma Ghandi oder wir alle in unserem ganz normalen Leben. Jeder Mensch an seinem Platz kann die Welt verändern und damit einen Beitrag leisten zu einem MEHR an Menschenrechten, Achtung, Akzeptanz, Würde, Toleranz, Solidarität, Gleichheit, Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit. Denn: 

Gott gebe uns Liebe, wo Hass ist,

Frieden, wo Krieg tobt,

Kraft, wo Schwachheit lähmt,

Toleranz, wo Vorurteile bestehen,

Wahrheit, wo Lüge regiert,

Offenheit, wo alles festgefahren scheint,

Freiheit und Mut zur Veränderung, wo wir eingeengt sind.

Gott schenke uns diese Stärke zur Veränderung!


Christiane Karp-Langejürgen, Pfarrerin am Berufskolleg Halle/W.