Andacht vom 11. November 2018

Wort zum drittletzten Sonntag im Kirchenjahr, 11. November 2018

„Wir wollen das wiedererwachte deutsche Lebensgefühl in unserer Kirche zur Geltung bringen.“ „Die Zeit unseres parlamentarischen Systems hat sich überlebt, auch in der Kirche.“ „Wir bekennen uns zu einem bejahenden Christusglauben, wie er deutschem Luthergeist entspricht.“ „Wir sehen in Volkstum und Nation Lebensordnungen, die uns von Gott geschenkt und anvertraut sind.“
Diese Sätze habe ich nur gelesen. Aber ich höre sozusagen die Stimme, die sie vertritt. Laut. Hart. Kompromisslos. Der Redner steht vor einer Menschenmenge. Nach jeder Provokation wird applaudiert. Aus der Masse kommen Zwischenrufe. Gegen die Vertreter des Systems. Gegen Journalisten. Gegen Muslime. Deutsche Fahnen werden geschwenkt.
Ist das die Zukunft unserer Kirche? Populismus auf evangelisch? Etwas verändert sich in unserem Land. Wie in den dreißiger Jahren ist der Ton nationalistisch geworden. Egoistisch. Das Recht und die Gerichte werden nur solange geachtet, wie sie die eigene Meinung vertreten. Institutionen werden beschimpft, wenn sie nicht auf der eigenen Linie sind. Die Presse. Die Regierungen. Die Parteien.
Diese Welle ergreift immer mehr Länder. Liegt das Zentrum des Bebens in Moskau? Anscheinend hat der rechte Populismus mächtige Förderer. Die Stimmung in den sozialen Netzwerken wird systematisch angeheizt.
Auch bei den Linken überlegen immer mehr Vordenker, ob sie nicht auf dieselbe Karte setzen sollen. Ob nicht ein linker Populismus die beste Antwort auf den rechten ist. Sozial, aber die Interessen der kleinen Leute im Blick. Gegen die Ausländer, die den Einheimischen die Arbeitsplätze streitig machen. Und die Sozialleistungen.
Populismus ist ja ein schillernder Begriff. Was populär ist, muss ja nicht schlecht sein. Aber ich höre darin auch die Verherrlichung des eigenen Volkes. Denn der populus ist das Volk. Populismus hat deshalb immer auch etwas Völkisches. Volksegoismus. Ist das unsere Zukunft? Egoismus und Abgrenzung von rechts. Von links. Und auch mitten in unserer Kirche?
Noch ist das nur ein Alptraum. Noch erinnert sich die Kirche in Deutschland an die Verirrungen im Nationalsozialismus. Niemand darf heute ungestraft die Thesen vertreten, die ich am Anfang zitiert habe:  die Richtlinien der so genannten „Deutsche Christen“ von 1932. Diese+ Deutschen Christen haben Adolf Hitler unterstützt, schon bevor er die Macht ergriff.
Ich bete darum, dass diese Gedanken in der Kirche nie wieder laut werden. Wenn doch, will ich ihnen entschieden widersprechen. Denn der Glaube ist das Gegenteil von Egoismus. Das Gegenteil von nationaler Beschränktheit. Der Glaube verbindet die Ökumene – die ganze von Gott geschaffene Welt!

Dr. Sven Keppler ist Pfarrer in der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Versmold