Andacht vom 11. November 2012

11. November 2012 - drittletzer Sonntag des Kirchenjahres

Was haben Sie Dienstagnacht gemacht? Schon früh ins Bett gegangen? Champions League geguckt, oder waren Sie auch neugierig und gespannt, wie denn die Wahl in den USA ausgehen mag? Also was mich angeht, ich konnte noch nicht ins Bett gehen, wollte zumindest die ersten Ergebnisse hören. Aber dann wurde ich doch müde, und eine nette Stimme aus meinem Radiowecker teilte mir mit, dass Barack Obama die Wahl gewonnen hatte. Also ehrlich gesagt, ich war ein bisschen erleichtert und zufrieden. Im Fernsehen sah ich dann morgens live seine Dankesrede, er bedankte sich bei den Menschen, die ihn gewählt hatten, vielleicht auch deswegen, weil er nach wie vor eine Hoffnung, eine Vision verkörpert, die die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler noch mit ihm teilten, auch wenn sie vielleicht auch manche Enttäuschung mit "ihrem" Präsidenten erlebt hatten.

Die Menschen haben Obama gewählt, weil sie eine Vision hatten, von der sie meinten, dass der Präsident sie in Teilen erfüllen könnte.

Mit etwas Distanz zur Wahl fiel mir das Wort aus dem Johannesevangelium ein, aus den Abschiedsreden Jesu:
"Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt." (Joh. 15,16). Auch Jesus hat gewählt. Er hat sich Menschen in seine Nachfolge gewählt, weil auch er eine Vision davon hatte, dass der Wille Gottes, den Jesus als Vater anspricht, umgesetzt werden kann. Und dafür wählt er sich Menschen, denen er das zutraut. Und immer wieder finden wir bis heute Menschen, die sich das zutrauen, weil Jesus es uns zutraut, der Vision der Liebe eine menschliche Gestalt zu geben.

Bei der Wahlrede konnte man Obama ansehen, wie erleichtert er war, dass das Volk ihm die Führung des Landes zutraute.

Es tut gut, wenn jemand uns etwas zutraut. Es tut gut, wenn wir die Botschaft Jesu auch für uns hören, dass er uns zutraut, seiner Vision Gestalt zu verleihen. Wenn mir ein Mensch vertraut, mir etwas zutraut, kann ich Mut fassen, Wege zu gehen, Dinge auszuprobieren, die mir vorher nicht möglich erschienen.
Dafür braucht es keine großen Wahl- oder Parteiprogramme, sondern es lässt sich zusammenfassen in der Ermahnung, die diesen Teil der Rede Jesu abschließt:
Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt. Diese Vision ist die Liebe, in der sich Gott zeigt und die Jesus vorgelebt hat bis in den Tod hinein. Die Liebe – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

von Martin Liebschwager, Pfarrer in Harsewinkel