Andacht vom 22. März 2015

Wort zum 22. März 2015, Judika

Köder

Elf Männer sitzen um einen Tisch. Es ist Abend, der Raum dunkel. Ein zwölfter Mann verschwindet durch die Tür in die schwarze Nacht. Der Tisch in der Mitte des Bildes ist von einem Tuch bedeckt. Es leuchtet strahlend weiß. Rätselhaft, in dem verdunkelten Zimmer. Auf dem weißen Tischtuch zeichnet sich ein kreuzförmiger Schatten ab. Als ob helles Licht durch ein Fenster mit einem Sprossenkreuz dringen würde. Es müsste in meinem Rücken liegen, während ich das Bild ansehe. Aber warum sollte Licht durch das Fenster fallen? Am späten Abend?

Auf dem Tisch liegt ein Fladenbrot. Genau über dem Schattenkreuz. Das Brot ist in elf Stücke geteilt. Eins für jeden der Männer, die sich um den Tisch drängen. Auf den zweiten Blick sehe ich, dass die Bruchkanten der Stücke ein Zeichen ergeben. Ein X und ein P. Im Griechischen sind das die Schriftzeichen Chi und Rho. Die ersten beiden Buchstaben von Christus. Das Bild zeigt das letzte Abendmahl von Jesus und seinen Jüngern.

Gemalt ist es aus dem Blickwinkel einer unsichtbaren Person. Nur ihre Hände ragen am unteren Rand ins Bild hinein. Als ob es meine wären, wenn ich das Bild betrachte. Zwischen den Händen steht ein Kelch mit rotem Wein. In ihm spiegeln sich zwei Augen, eine Nase. Das Gesicht muss zu den Händen gehören. Sehe ich mein eigenes Gesicht? Oder soll es das von Jesus sein? Er gibt ja seinen Jüngern das Brot und den Wein.

Das Gemälde stammt von Sieger Köder, dem schwäbischen Künstler und Priester, der im vergangenen Monat verstorben ist. „Chagall der Ostalb“ wurde er genannt. Ich kenne kein Bild, das das Geheimnis des Abendmahls so gut vor Augen führt. Mit Worten klingt das alles ja sehr rätselhaft: Jesus ist im Brot und im Wein anwesend. Er verbindet sich mit mir, wenn ich das Brot esse und den Wein trinke. Auf dem Bild ist es ganz einleuchtend: Ich sehe die Szene mit den Augen von Jesus. Das gespiegelte Gesicht zeigt: Der Wein, das ist er. Das Brot trägt seinen Namen. Und auf alles fällt der Schatten des Kreuzes.

von Sven Keppler, Pfarrer der Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Versmold.